Welt im Fels
ging geduckt und blickte ängstlich über die Schultern. Chimal verstand nicht, was das zu bedeuten hatte – dann erkannte er, daß der Mann sich vor seinen Pflichten beim Durchkämmen des Sumpfes drückte. Mehrere Tage Feldarbeit waren schon verlorengegangen, und ein Mann, der nicht arbeitete, mußte hungern. Dieser hatte sich unbemerkt davongeschlichen, um seiner Feldarbeit nachzugehen.
Als er in seine Nähe kam, sah Chimal, daß er zu den wenigen Glücklichen im Tal gehörte, die eine stählerne Machete besaßen. Er hielt sie fest in der Hand, und als Chimal sie sah, kam ihm plötzlich ein Gedanke, wofür er das Messer benutzen könnte.
Er sprang auf, als der Mann neben ihm war, und schlug mit dem Stein zu. Der Mann drehte sich überrascht um, und der Stein traf ihn an der Schläfe. Er stürzte zu Boden und blieb reglos liegen. Als Chimal ihm das Heft mit der langen, breitschneidigen Klinge aus der Hand nahm, sah er, daß der Mann noch atmete. Das war gut; es hatte schon genug Tote gegeben. Geduckt machte er sich auf den Rückweg.
Es war niemand zu sehen; die Sucher mußten jetzt tief im Sumpf sein. Chimal wünschte ihnen viel Vergnügen mit den Blutegeln und Stechmücken. Ungesehen huschte er auf dem Pfad zwischen den Felsen hindurch und stand schließlich wieder vor der Tür in der Felswand.
Die Schneide der Machete war zu dick für den senkrechten Spalt, aber unten war der Schlitz breiter, vielleicht weil der Schlangenkörper darin eingeklemmt war. Er schob die Klinge hinein und drückte nach oben. Nichts geschah. Aber Coatlicue konnte die Felstür öffnen – also mußte es einen Weg geben. Er schob die Klinge noch tiefer hinein und versuchte es wieder, und diesmal spürte er, daß sich etwas bewegte. Er stemmte sich mit aller Kraft gegen den Fels und zog die Machete nach oben. Es knirschte, dann brach die Klinge ab. Er taumelte zurück und betrachtete ungläubig den abgenutzten Holzgriff, den er in der Hand hielt.
Das war das Ende. Ein Fluch lag auf ihm. Seinetwegen war der Oberpriester gestorben und die Sonne nicht aufgegangen, er hatte Unheil und Schmerzen gebracht, und jetzt hatte er gar eines der unersetzlichen Werkzeuge abgebrochen, von denen das Überleben der Leute im Tal abhing. Voller Verzweiflung rammte er den Stumpf der abgebrochenen Klinge noch einmal unter die Tür – da hörte er aufgeregte Stimmen hinter sich.
Jemand hatte seine Spur gefunden und sie bis hierher verfolgt.
Voll Wut und Haß auf sich selbst stieß er den Stumpf noch einmal in den Spalt, spürte plötzlich Widerstand und drückte mit aller Kraft dagegen. Etwas gab nach. Dann mußte er zurückweichen, als eine große Steintafel lautlos herausschwang. Verblüfft starrte er in einen gekrümmten Tunnel, der in den Fels hineingehauen war, soweit das Auge folgen konnte.
Wartete Coatlicue dort auf ihn? Er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn die Stimmen waren schon ganz nahe.
Er stolperte hinein, die abgebrochene Machete in der Faust, und fiel hin. Die Felsentür schloß sich hinter ihm so lautlos, wie sie sich geöffnet hatte. Das Sonnenlicht verschwand. Chimal setzte sich in der Finsternis auf und tastete nach der Tunnelwand.
Dann stand er auf und machte einen zögernden Schritt nach vorn.
DIE WELT IM FELS
Cuix oc ceppa ye tonnemiquiuh?
In yuh quimati moyol, hui!
Zan cen tinemico. Ohuaya ohuaya.
Werden wir noch einmal leben?
Im Herzen weißt du es!
Wir leben nur einmal.
1.
Er hielt inne und wich zum Eingang zurück und drückte seine Schultern fest gegen die steinerne Tür. Er hatte Furcht.
Hier gingen nur Götter, hier hatte er nichts zu suchen. Er nahm sich zuviel heraus. Gewiß, der sichere Tod wartete hinter ihm, aber es war ein Tod, den er kannte. Aber was lag vor ihm? Er widerstand der Versuchung, die abgebrochene Klinge von neuem in den Türspalt zu schieben, um die Tür wieder zu öffnen und sich auszuliefern.
»Fürchte dich, Chimal!« flüsterte er in der Dunkelheit. »Aber krieche nicht feige zurück wie ein Tier!« Zitternd richtete er sich auf und wandte sich der Dunkelheit zu, die vor ihm lag.
Mit den Fingerspitzen der linken Hand tastete er sich an der rauhen Felswand entlang, während er das abgebrochene Messer vor sich ausgestreckt hielt. Er ging auf Zehenspitzen und atmete nur flach, um kein Geräusch zu machen. Hinter der nächsten Biegung bemerkte er einen schwachen Lichtschein. Er ging weiter, blieb aber stehen, als er die Lichtquelle sah.
Sie war sehr
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