WELTEN-NEBEL
ausübte. Sie kam ihm so erwachsen vor. Gegen sie wirkte er wie ein Kind, auch wenn er in den letzten Monden sein Leben weitgehend selbst gemeistert hatte und darüber sicher einiges an Reife gewonnen hatte. Inzwischen hatte er schon zwei Nächte und Tage in ihrem Haus verbracht. Die Tage waren ausgefüllt mit Gesprächen, mal sprach er über sein frühes Leben auf Helwa, ein anderes Mal berichtete sie ihm von Martul und ihrem Leben hier.
Seine Vermutung, dass es sich bei diesem Land um einen Zusammenschluss Margans und Tulups handelte, war von ihr bestätigt worden. Auch hatte sie ihm von der Glocke aus Nebel erzählt, die es unmöglich machte, Martul zu verlassen oder zu betreten. Zusammen hatten sie sich den Kopf darüber zerbrochen, wie es Btol dennoch möglich gewesen war. Sie mussten jedoch erkennen, dass es keine andere Erklärung geben konnte als das Wirken der Götter. Dies führte sie wieder zu der Frage nach dem Grund für ihr Zusammentreffen, doch bis jetzt waren sie einer Antwort darauf nicht näher gekommen.
An diesem Abend erzählte sie ihm ausführlich von ihrer Tätigkeit als Bewahrerin, wie sie ausgewählt worden war, wie ihre Ausbildung verlief, was sie alles von Wilka lernte. Er merkte, wie Trauer in ihr Gesicht trat, als sie von ihrer Lehrmeisterin sprach. Er fragte: „Ist es schwer für dich, hier ganz alleine zu leben?“
„ Manchmal schon, doch meist bin ich zu beschäftigt, um darüber nachzudenken. Auch bekomme ich regelmäßig Besuch von den Dorfbewohnern.“
„ Dennoch, es ist bestimmt schwer, niemanden zu haben, mit dem man sein Leben teilen kann. Ich habe mich in meinem Leben manchmal einsam gefühlt, selbst wenn ich von Menschen umgeben war.“
„ Um ehrlich zu sein, das wundert mich nicht. Ich bin so manches Mal Zeugin geworden, wie du mit den Menschen umgegangen bist. Obgleich ich deine Worte nicht verstehen konnte, dein Ton war mehr als unangebracht.“
Ihre Worte verletzten ihn und beinahe hätte er eine harsche Antwort gegeben, doch biss er sich im letzten Moment auf die Zunge. Stattdessen versuchte er es mit einer Entschuldigung: „Als Prinz muss man seinen Untergebenen entsprechend entgegentreten.“
Er merkte selbst, wie lahm seine Ausrede klang. Ihr Gesicht zeigte, wie wenig sie seine Worte überzeugten. Ihr Blick ließ ihn jeden weiteren Erklärungsversuch unterlassen. Er schwieg und dachte nach, erinnerte sich an seine Zeit in dem Dorf nahe der Rogmündung, wo er zum ersten Mal wahre Herzlichkeit und Freundschaft hatte erfahren dürfen. Ihm war klar, dass dies nicht nur an den Menschen gelegen hatte, sondern auch an der Art, wie er ihnen gegenübergetreten war, nicht als Prinz, sondern als Mensch, der auf sie angewiesen war.
„ Du hast recht, mein Stand hat mich dazu verleitet, mich anderen Menschen überlegen zu fühlen. Doch die jüngsten Ereignisse haben mich gelehrt, dass mein Verhalten unangebracht war.“
„ Ich werde dich daran erinnern, solltest du mir gegenüber jemals einen solchen Ton anschlagen.“ Es war unverkennbar, dass sie dies ernst meinte. Zu seiner Erleichterung ließ sie das Thema auf sich beruhen.
Sie musste zugeben, dass sein Verhalten keine Spur von Hochmut oder Überheblichkeit zeigte. Er schien sich wirklich geändert zu haben. Ewen war froh darüber, mit dem Jungen, den sie vor anderthalb Jahren kennengelernt hatte, hätte sie keinen Tag zusammenleben können.
Als sie seines zerknirschten Gesichtes ansichtig wurde, tat ihr ihre Rüge für sein früheres Verhalten fast leid. Er war damals noch ein Kind gewesen – war es jetzt beinahe noch -, er hatte es einfach nicht besser gewusst. Sie nahm sich vor, jedwede Vorurteile gegen Btol zu vergessen und ihn nur an seinem gegenwärtigen Verhalten zu messen. Er hatte eine Chance verdient und nur die Götter wussten, wie lange sie es miteinander würden aushalten müssen.
Jahr 3637 Mond 7 Tag 20
Hort der Bewahrerin, Martul
Es war an der Zeit, sich wieder mehr auf ihren Pflichten als Bewahrerin zu konzentrieren. Immer wieder trafen Boten aus den Dörfern ein und es war an der Zeit, die überbrachten Neuigkeiten in die Chroniken zu übertragen. Die endlosen Gespräche, die sie seit seiner Ankunft mit Btol geführt hatte, waren fruchtlos gewesen, daher war es unnütz, noch mehr Zeit auf die Enträtselung der Aufgabe zu verwenden, die ihnen von den Göttern zugedacht worden war. Solange es ihnen an neuen Anhaltspunkten mangelte, würden sie nicht weiterkommen.
Doch bevor sie sich
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