WELTEN-NEBEL
Wort: „Habt ihr die Stücke der Scheibe bei euch? Ich würde sie gerne sehen.“
Sie hegte den starken Verdacht, dass es sich bei der Scheibe um eben jenes Objekt handelte, das Rihnall vom Grund des Galsees geborgen hatte. Und wirklich, kaum hatte Terak ihr die Bruchstücke gereicht, da erkannte sie sie wieder. Das konnte kein Zufall sein. Der Spiegel war zum gleichen Zeitpunkt in Atress erscheinen wie sie und Rihnall. Er war also mit ihnen gereist, war vielleicht sogar der Schlüssel dazu. Nun war die Scheibe zerborsten. Doch was wäre, wenn man sie wieder zusammenfügte? Würde dies ihnen einen Weg nach Hause öffnen?
Rihnall beugte sich zu ihr und sprach genau das aus, was sie soeben gedacht hatte. Sie antwortete ihm auf Atressian: „Lass uns später darüber sprechen. Es ist unhöflich, wenn wir uns in einer Sprache unterhalten, die die anderen nicht verstehen.“
Dann widmete sie ihre Aufmerksamkeit wieder den Stammesführern. Sie erzählte, was es mit der Scheibe auf sich hatte, wie Rihnall sie gefunden hatte, und dass sie glaubte, sie sei mit ihnen nach Atress gereist. Außerdem fragte sie, was die Anführer der Stämme nun vorhatten. Wollten sie erneut versuchen, den Bergstamm von ihren friedlichen Absichten zu überzeugen? Glaubten sie auch, dass ein Krieg bevorstand?
Wie sie es befürchtet hatte, bestritt niemand die Kriegsgefahr. Sie hatte gehofft, mit ihrer Einschätzung falsch zu liegen. Keiner der Anwesenden hatte eine Idee, wie man den Bergstamm besänftigen konnte, daher hatten sie geplant, den Krieg durch Abschreckung zu verhindern. Wenn sich der Bergstamm ihren vereinigten Kriegern gegenübersah, würde er gewiss die Waffen strecken. Es war Bevan, die diese Hoffnung zerstörte. Sie sagte: „Ich glaube nicht. Die Krieger des Bergstammes behaupten von sich, keine Furcht zu kennen. Sie werden sich auch in einen aussichtslosen Kampf stürzen, sobald ihr Anführer es befiehlt.“
„ Dann ist alles verloren.“ Es war Warf, der aussprach, was sie wohl alle dachten.
Süylin aber wollte sich damit nicht abfinden. Wenn ein Bruchteil eines Metallgegenstandes den Menschen wie ein göttliches Zeichen vorgekommen war und sie zusammengeführt hatte, dann konnte dies auch noch einmal gelingen. Es war sehr bedauerlich, dass der Bergstamm offenbar nichts von der Himmelserscheinung bemerkt hatte. Möglicherweise wären sie dann ebenso wie die anderen Stämme zu einer Vereinigung bereit gewesen. Daher brauchten sie nun eine Gelegenheit, dem Anführer des Bergstammes davon zu erzählen und ihm nach Möglichkeit den kompletten Spiegel zu zeigen. Doch dabei gab es zwei Probleme. Zum einen mussten sie das fehlende Teil finden, zum anderen mussten sie mit dem Bergvolk sprechen, ohne dass man sie bei dem Versuch tötete. Ersteres erschien ihr fast einfacher, auch wenn sie keine Ahnung hatte, wo das Teil niedergegangen war. Sie richtete das Wort an Bevan: „Sag, war die Himmelserscheinung in der Bergsiedlung wirklich nicht zu sehen? Oder haben die Menschen ihr einfach keine Bedeutung beigemessen?“
„ Nein, ich habe nichts von dem gesehen, was mein Vater beschrieb. Allerdings gab es an dem Tag, soweit ich mich erinnere, ein starkes Gewitter. Vielleicht haben die Wolken und Blitze die Erscheinung verdeckt.“
Damit waren ihre Hoffnungen auf einen Hinweis zunichtegemacht. Daher erzählte sie zunächst nichts von ihren Überlegungen. Sie musste ihren Plan erst weiter ausarbeiten, bevor sie mit irgendwem darüber sprach.
Mond 8 Jahr 3688
Sommer
Hauptsitz des Waldstammes, Atress
Sieben Tage strammen Marschierens lagen hinter der kleinen Gruppe, als sie endlich den Hauptsitz des Waldstammes erreichten. Besonders Setor hatte immer wieder zur Eile aufgerufen. Er wollte so schnell wie möglich mit den Kriegsvorbereitungen beginnen. Die anderen Anführer waren zwar ebenfalls bestrebt, so schnell wie möglich nach Hause zurückzukehren, dennoch hatte die Gruppe beschlossen, weiterhin gemeinsam zu reisen. Für ihre weiteren Pläne war es notwendig, dass sie beieinanderblieben. Anfangs hatte es Diskussionen darüber gegeben, obgleich verbündet, stellte doch jeder Anführer das Wohl seines Stammes über das der anderen.
Es war Süylin gewesen, die vermittelnd eingegriffen hatte. Obgleich sie eine Frau war, folgten die Männer ihren Vorschlägen. Wenn sie wollte, konnte seine Frau sehr überzeugend sein, das musste Rihnall zugeben. Ihrer Vermittlung war auch das beabsichtigte Vorgehen zu verdanken. Alle waren
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