Welten - Roman
ich einen von ihnen überwältige und mithilfe seines Vorrats fliehen will. Dabei hatten sie wohl eher an einen konventionellen Schlag auf den Hinterkopf gedacht als an meine viel subtilere Bewusstseinsmanipulation, doch die Vorsichtsmaßnahme wirkt ärgerlicherweise trotzdem.
Nach Abschluss der Operation soll sich ein Unbekannter mit ihnen in Verbindung setzen und sie mit der Droge versorgen.
Ha! Diese armen Scheißer sind in gutem Glauben hergekommen und darauf angewiesen, dass sie ihr Dealer nicht im Stich lässt. Schlecht für sie, aber auch für mich. Also muss ich mich doch mit meinem Londoner Kumpel Ade treffen. Das schränkt meine Handlungsmöglichkeiten erheblich ein, aber selbst bei einer ziemlich gründlichen Untersuchung von Jildeeps Bewusstsein stoße ich auf nichts, was mir weiterhilft. Wahrscheinlich könnte ich länger in einem von ihnen bleiben als ursprünglich beabsichtigt, aber die Hemmer werden wieder einsatzbereit sein, lange bevor der Septus-Lieferant aufkreuzt. Selbst wenn ich die beiden Hemmer ganz außer Gefecht setze, nützt mir das wenig, weil sie sofort neue anfordern werden. Und dann sitze ich in der Falle, weil ein guter Hemmer bestimmt sofort den faulen Apfel in ihren Reihen erkennt.
Egal, nachdem der zweite aus dem Verkehr gezogen ist, kann mich niemand mehr aufhalten, und es wäre sinnlos, hier noch etwas gegen einen der Agenten zu unternehmen. Ich kann verschwinden, wohin ich will.
Auf dem Achterdeck eines Vaporetto, das nach Santa Lucia fährt, sitzt ein Fahrgast - unscheinbar, ungefähr dreißig, mittelgroß. Er bemerkt einen Nackten, der über das dunkle Dach eines imposanten, schwarzweißen Palazzo auf der westlichen Seite des Canalasso rennt. Zusammen mit den anderen Passagieren - die sich mit Bemerkungen wie »Ach du meine Güte« und »Eh? Cosa?« einander zuwenden - verfolgt er, wie sich der Mann vom Dach stürzt und unmittelbar vor einem Wassertaxi in die Fluten taucht. Dieses weicht gerade noch aus, als der Nackte Richtung San Marco davonschwimmt. Ganz in der Nähe stellt ein Mann in einer stehenden Barkasse den Motor ab und wirft lässig den Schlüssel über Bord.
Der unscheinbare Mann im Heck des Vaporetto wirkt etwas erstaunt, dann niest er.
(Italienisch, Englisch, Griechisch, Türkisch, Russisch, Mandarin.)
Die freundliche Rentnerin Mavis Bocklite aus Baxley in Georgia sitzt ihm gegenüber und sagt: »Gesundheit, Sir.«
Endlich! Lächelnd nicke ich. »Grazie, Signora.«
FÜNFZEHN
PATIENT 8262
»Ich bin wieder in Ordnung«, versichere ich der stämmigen Ärztin, die die Puppen in der Schublade hatte. Inzwischen kenne ich auch ihren Namen. Sie heißt Dr. Valspitter. »Ich glaube, ich kann die Klinik verlassen.« Auch die Landessprache Itisch beherrsche ich inzwischen deutlich besser. »Ich bin sehr dankbar dafür, was Sie alle hier für mich getan haben.«
Dr. Valspitter mustert mich mit geschürzten Lippen. Ihre Brauen haben sich über der Nasenwurzel zusammengeschoben, als hätte jemand an einem Faden gezogen. »Welche Erinnerungen haben Sie an Ihr früheres Leben?«
»Fast keine«, räume ich ein.
»Was würden Sie tun, wenn Sie in die Welt zurückkehren?«
»Ich würde mir eine Wohnung und einen Job suchen. Das kann nicht so schwer sein.«
»Aber nicht unbedingt in Ihrem früheren Beruf.«
»Als normaler Arbeiter. Das wäre möglich. Mit Baustellen kenne ich mich aus. Eine Hilfstätigkeit.«
»Sie fühlen sich dazu imstande?«
»Ja, dazu fühle ich mich imstande.«
»Wie würden Sie eine Wohnung suchen?«
»Ich würde mich an das städtische Wohnungsamt wenden.«
Dr. Valspitter nickt beifällig und macht sich eine Notiz. »Gut. Und wie würden Sie Arbeit finden?«
Die naheliegende nächste Frage. »Ich würde Baufirmen
ansprechen und natürlich auch zur städtischen Arbeitsvermittlung gehen.«
Wieder schreibt die Ärztin etwas auf. Ich denke, dass ich meine Sache recht gut mache. Das ist auch bitter nötig. Ich muss hier raus.
Letzte Nacht konnte ich nicht schlafen und unternahm wieder einmal in den frühen Morgenstunden einen Spaziergang hinunter zur stummen Station, wie ich sie noch immer nenne. Ich konnte nicht anders, sie zog mich magisch an. Ich glaube zwar nicht, dass ich davon aufwachte, doch als ich munter war, dachte ich wie besessen an die langen Reihen von Betten, in denen fast lautlos und mit leerem Blick die Patienten liegen, und den Gegensatz zu ihrem Erscheinungsbild bei Tageslicht. Ich wusste nicht, was ich mit meinem
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