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Weltenende (German Edition)

Weltenende (German Edition)

Titel: Weltenende (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Caspari
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die schmale Wendeltreppe hinter der Täfelung der Sakristei nach oben bis zum ehemaligen Lampenhaus, wo Ludwig mit dem Fernglas an der Brüstung stand und nach Westen schaute. Er setzte das Glas ab, als er sie hörte, drehte sich um und zuckte zusammen
    „ Grundgüter, was …?“, rief er erschrocken.
    „Wir haben a bissel gerauft“, antwortete Carl.
    „Wir hatten einen Zusammenstoß mit der Ombrage“, entgegnete Jonas korrekt und lehnte sich an die Scheiben, damit er nicht so nah am Geländer stand. Die Höhe machte ihm mehr als sonst zu schaffen. „ Wir haben angefangen, hat Gutenberg gesagt.“
    „Euch zu prügeln?“
    „Nein, die Apokalypse.“
    „Das sehe ich nicht“, entgegnete Ludwig ohne Zögern.
    „Bist du ganz sicher? Vielleicht übersiehst du etwas“, antwortete Jonas gereizt.
    „ Nein, wenn sie angefangen hätten und sie es vor uns so gut verstecken könnten, dann würden sie dich in Ruhe lassen. Die wollen etwas, die Reliquien vermutlich. – Oder kannst du spüren, dass die Apokalypse wirklich begonnen hat?“
    „Mein Adrenalinpegel ist astronomisch .“
    „Dann beruhig dich und sag mir, was du spürst!“
    Ludwig zog ein Päckchen Tempotaschentücher aus der Tasche und gab Carl zwei Stück, damit er sich das vom Regen verlaufene Blut aus dem Gesicht wischen konnte. Jonas musste sich auf den Boden setzen. Seine Knie zitterten wie Espenlaub und ihm war schwindlig. Er schloss die Augen und für einige Minuten versuchte er sich zu beruhigen, versuchte an nichts zu denken, was ihm aber überhaupt nicht gelang. Seine Gedanken kreisten unablässig, um Georg, um Carl, der auf dem Boden lag, um Igby, der auf ihn einschlug, und um Gutenberg, der sich regelrecht in seinen Kopf gebohrt hatte. Die Vorstellung die Apokalypse könnte bereits begonnen haben, versetzte ihn in Panik. Doch fühlen konnte er nichts, weder dass sie begonnen hätte, noch dass alles in Ordnung war. Er wollte gerade die Augen wieder öffnen, als es ihn, wie ein Schlag traf. Er sah Lichter, zuckend, bunt und blitzend wie Sterne und irgendwo dazwischen waren Agnes Zahlen. 25-50-95-28-4; erst Süd, dann Ost, dann Nord, dann Ost und dann Süd. Die Worte kamen ihm einfach in den Sinn, als hätte er es schon immer gewusst.
    Er sprang auf. „Ich weiß, was die Zahlen zu bedeuten haben“, rief er viel lauter als nötig. Mit einem Satz war er wieder auf der Leiter zum Glockenraum. Von weiter unten forderte er Carl und Ludwig mit widerhallender Stimme auf, ihm zu folgen.
    „ Ich bin ein alter Mann“, protestierte Ludwig.
    Jonas nahm keine Rücksicht. Er rannte noch schneller , sprang mehrere Stufen einmal und stürzte um ein Haar.
    Vor der Tür der Sakristei blieb er stehen. 25 Süd! Mit schnellen Schritten kam er auf der Straße heraus. 50 Ost! Nach Osten lag das Pfarrhaus. Er lief beinahe direkt darauf zu und ganz so einfach kam er nicht auf 50, denn der Weg war nicht frei. Vielleicht hatte er die Schritte zu groß gewählt, dachte Jonas. Er lief auf gerader Linie direkt an der Hauswand entlang, das kam ungefähr hin. Carl und Ludwig holten auf.
    „Wie kommst du darauf?“, fragte Ludwig.
    „Eine Eingebung“, antwortete Jonas und verzählte sich beinahe.
    „Bist du sicher, dass …“
    „Ja.“ Und kurz darauf schränkte Jonas ein: „Nicht ganz, aber einigermaßen.“
    D ie 95 nach Nord wurden zwangsläufig eine ziemlich ungenaue Angelegenheit. Wenn Jonas Schrittlänge nur um fünfzehn Zentimeter von der geplanten abwich, dann lag er am Schluss über vierzehn Meter neben dem Ziel.
    „Es sin d bestimmt Meter gemeint“, schätzte Ludwig und maß kritisch Jonas Schritte per Augenmaß.
    „Die sind zu groß, Jonas. Ein Meter ist weniger.“
    Jonas machte etwas kleinere Schritte und blieb bei fünfunddreißig stehen.
    „Das ist doch meine Prophezeiung, oder?“
    „Ja, kann man so sagen“, antwortete Ludwig.
    „Muss es dann nicht auch meine Schrittlänge sein?“
    Ludwig nickte. „Das wäre nur logisch. Aber solltest du dann, vorausgesetzt du hättest Recht, nicht so laufen, wie du es immer tust?“
    „Klar, Prophezeiungen, Logi k, sicher, das passt zusammen wie die Faust aufs Auge“, meinte Carl und seine Stirn lag in tiefen Falten. Seine Haare klebten vom Regen am Kopf und er hatte seinen rechten Arm auf den Bauch gepresst, außerdem hinkte er, was er nur schwerlich verbergen konnte.
    Jonas lief weiter und Carl und Ludwig trotteten hinter ihm her. Sie liefen an der Friedhofsmauer vorbei, danach querfeldein durch ein

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