Weltenende (German Edition)
Fähre legte mit Verspätung ab. Sie hatten sich aufs Oberdeck in die Sonne gesetzt und Marie trug ihren neuen Hut. Sie war sehr zufrieden damit, das sah man ihr an, vielleicht sogar ein wenig gerührt, dass Carl ihr noch etwas gekauft hatte. Carl ermahnte sie dauernd, dass sie ihn nicht verlieren sollte. „Eine Windböe und das teure Teil liegt auf dem Grund der See“, sagte er patzig, aber Marie ignorierte ihn.
Jonas schwitzte. Er hatte den Koffer zur Fähre getragen und er hatte sich angefühlt, als hätte Mathilda ihren halben Hausstand eingepackt. Er kratzte sich am Bein und Marie meinte: „Wenn du einen Mückenstich hast, darfst du nicht kratzen, sonst hört er nie auf zu jucken.“
„Ich weiß, aber es ist, als ob lauter Ameisen darauf herumlaufen.“
„Du musst ihn mit Obstessig und Zitronensaft einreiben, es gibt kein besseres Mittel“, sagte Mathilda und blickte gedankenverloren aufs Meer. Jonas erwartete, dass sie gleich erklären würde, dass die Luft hier draußen besser sei als in der Stadt, weil sie das jedes Mal tat, genauso wie sie jedes Mal voller Überraschung feststellte, dass sie gewachsen waren.
Jonas Blick fiel auf das untere Deck. Achtern neben dem Kran für Paletten und größere Kisten standen jetzt zwei Männer in dunklen Hemden. Sie hatten zwei große Reisetaschen bei sich, wirkten aber mit den Stoffhosen und den kleinen Trolleys neben den Beinen keineswegs wie die typischen Rabensruher Urlauber, eher wie Geschäftsleute. Zwischen den Touristen mit ihren bunten T-Shirts und Hawaiihemden wirkten sie so unpassend auffällig wie jemand mit Irokesenschnitt im Theater. Doch ein beklemmendes Gefühl in der Brust, sowie vorhin, als sie in Fermten angekommen waren, verriet ihm, dass sie keine Geschäftsleute waren. Auch wenn er die Augen hinter ihren Sonnenbrillen nicht sah, wusste er, dass sie ihn beobachteten. Er konzentrierte sich auf sie, versuchte sie genauer zu erfassen und berührte unwillkürlich seinen Handrücken, wo nur zu deutlich, das Emblem aus der Hand trat. Heiß war es aber nicht.
Er konnte nichts weiter wahrnehmen als ein Loch im Raum, dort wo die Männer standen, ohne Konturen, ohne Schatten. Er war sicher, dass er sie vorhin gespürt hatte, anders konnte es nicht sein, nur jetzt verhüllten sie sich vor ihm. Oder - Jonas Blick war auf die Koffer gefallen - vielleicht versteckten sie etwas vor ihm ... Der Koffer musste es sein. Jonas fiel es wie Schuppen von den Augen. Sie brachten etwas auf Rabensruh, vielleicht war es die Ombrage mit der Rolle selbst? Nein, die musste schon dort sein, nur sie lockte die Sieben an und die Hunde mit ihnen, aber in diesem Koffer konnte sich dennoch etwas Wichtiges befinden.
„Was gu ckst du denn so?“, fragte Carl.
„ Nichts, alles bestens“, stotterte Jonas und schaute verlegen aufs Meer, um dann kaum einen Moment später wieder zu den Männern zu sehen. Er musste sich ihre Gesichter einprägen.
Schon vor Rabensruh standen Mathilda und Marie auf. Sie wollten auf das untere Deck an die Landebrücke. Jonas passte das gar nicht. Er wollte nicht näher zu den Männern, ihnen nicht näher kommen als unbedingt nötig, aber alleine hier oben sitzenzubleiben sah natürlich komisch aus. Er stand auf und taumelte schwindlig zur Seite. Sein Herz jagte viel zu fest in der Brust und er war kurzatmig wie nach einem Sprint. Er tat so, als würde er aufs Meer schauen, denn er brauchte einen Moment, bis er den anderen folgen konnte. Sie merkten es nicht; sie waren viel zu sehr mit dem Gepäck beschäftigt.
Unten plauderte Mathilda mit einem Matrosen, einem stämmigen Typ, den Jonas schon Dutzende Male gesehen hatte. Mathilda war eine beneidenswerte Frau, dachte er, die nie älter zu werden schien. Sie war für ihre zweiundsiebzig Jahre rüstig wie eine fitte Fünfzigjährige und wäre sie mit Jonas direkt verwandt, hätte sicher jeder behauptet, er hätte seinen schlauen Kopf von ihr geerbt.
Die beiden merkwürdigen Männer blickten nun unverhohlen in seine Richtung. Leider setzte die Fähre geradeerst zum Wendemanöver an, denn sie musste mit dem Heck voran an der Landungsbrücke festmachen. Mathilda lief mit dem Matrosen noch weiter nach vorne bis zur Absperrung, wo auch die Tampen bereitlagen. „Ach kommt, wir warten hier!“, sagte Jonas nervös.
„Die beiden Autofahrer können ruhig warten“, entgegnete Carl. „Die haben auf der Insel sowieso nichts verloren.“
„ Ich geh noch auf Toilette“, rief Jonas und drückte Carl den
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