Weltenende (German Edition)
Miniaturen des hiesigen Leuchtturms und nicht selten auch mit Bildern von Rabensruh, obwohl man die Insel von Fermten aus kaum sah. Außerdem konnte man überall kleine Mönchsfiguren mit Gravuren sinnreicher Sprüche und Bibelpassagen kaufen. Das örtliche Kloster war landesweit bekannt. Der Überlieferung nach erschien zwei Tuchwebern im vierzehnten Jahrhundert die Jungfrau Maria und sie gab ihnen den göttlichen Auftrag genau an jenem Platz über einem Rosenstrauch eine Kirche zu errichten. Den Strauch hatte längst das Zeitliche gesegnet, aber die Mönche pflanzten stellvertretend an jede nur erdenkliche Stelle auf dem Klostergelände Rosen.
Die Drei spazierten durch den Fischereihafen und über die kurze Hafenpromenade in Richtung Innenstadt.
„Es ist erstaunlich, wie schnell man sich an die Ruhe auf der Insel gewöhnt“ , sagte Carl nachdenklich.
„Mit den vielen Touristen ist es eigentlich auch tagsüber gar nicht so ruhig; außerdem sind wir viel zu jung, um uns nach ...“ Jonas dachte einen Moment nach. „... Otium zu sehnen“, fuhr er fort.
„ Gibt es das Wort überhaupt?“, fragte Carl und Jonas nickte. „Jedenfalls bist du im Kopf ein greiser alter Mann – ich meine natürlich ein weiser alter Mann ... und ich und Marie, wir wohnen das Schuljahr über in einem Internat, wo man nie seine Ruhe hat. Also ich für meinen Teil bin ganz froh, wenn wir zumindest ein paar Tage entspannen können.“
„Ich wusste nicht, dass dich das stört.“
„Wir haben weder Einzelzimmer noch eine Dusche, wo man für sich ist. Ich denke, ich werde allmählich zu alt dafür.“
Jonas hatte die Aufenthalts- und Schlafräume im Internat immer ganz gemütlich gefunden und nie den Eindruck gehabt, dass Carl sich dort nicht wohlfühlte. Aber er wohnte auch bei seinen Eltern und war im vergangenen Jahr wegen Vorlesungen an der Universität nur noch teilweise zur Schule gegangen. „Wir haben ein Gästezimmer und meine Eltern, du weißt, dass sie nichts dagegen hätten.“ Carl schüttelte den Kopf, aber Jonas kannte seinen Cousin gut genug, um zu wissen, dass er nicht abgeneigt war.
„Auf jeden Fall will ich das Thema jetzt vergessen . Wir haben Urlaub!“, erklärte er laut und damit war das Thema erledigt.
Marie hatte sich Eis gekauft. Carl holte sich ein Hotdog an jener Imbissbude, wo er das immer tat, und Jonas schaute sich um. Er konnte nicht sagen was es war, aber den Hafen überdeckte ein Schatten, eine düstere Präsenz, die er weder benennen noch einordnen konnte. Es war, als ob die Sonne dunkler leuchtete, der Wind schärfer blies und die Temperatur kühler war, als noch vor Minuten. Er kratzte sich am Bein und rief Marie und Carl zu, dass sie sich beeilen sollten. Er wollte hier weg.
„Willst du auch was? Ich lade dich ein“, fragte Carl und Jonas schüttelte den Kopf; er hatte immer noch keinen Hunger. „Das trifft sich gut, ich habe sowieso nicht genug Geld. Die sind teurer geworden. Ich brauche dringend einen Inflationsausgleich auf mein Taschengeld“, sagte Carl.
„ Ich wünsche dir viel Erfolg dabei, Barney zu überzeugen“, entgegnete Jonas. Noch mal schaute er durch den Hafen, aber da war nichts oder vielmehr niemand, der ihm als Ursache für sein Unbehagen ins Auge fiel. Doch mit jedem Meter, den sie sich entfernten, fühlte er sich besser und sicherer. Wer oder was auch immer ihn beeinflusst hatte, es befand sich im Hafen.
Auf der Straße unterhalb des Deiches war nicht viel los. Die Hundertschaften an Touristen flanierten oben über den Deichweg, wo man aufs Meer und den Strand sehen konnte, wo man die Segel- und Motorboote und die großen Containerschiffe sah.
„ Ob es Oma stört, dass die alle in ihren Garten sehen können?“, fragte Marie.
„Man gewöhnt sich daran“, entgegnete Jonas, „a ußerdem ist Wochenende und das Wetter ist gut. Es wird nicht immer so viel los sein.“
Mathilda war Fannys Mutter. Sie wohnte direkt hinter dem Deich, nicht weit vom Campingplatz und etwa genauso weit von einem kleinen Supermarkt entfernt, was sie nach dem Tod ihres Mannes vor vielen Jahren – lediglich Jonas erinnerte noch dunkel an ihn – als Segen empfand. Sie hatte nie gelernt Auto zu fahren und so konnte sie den größten Teil ihrer Einkäufe und Besorgungen zu Fuß erledigen und Fanny kam nur gelegentlich herüber, um mit ihr in die Stadt zu fahren. In den Nachbarshäusern wohnten Familien mit jungen Kindern und auch für sie war Mathilda so etwas wie eine Oma, mitunter auch
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