WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
Aufhebens zieht sie ihres Weges, der Wolf folgt ihr hämisch knurrend.
Es wird finster. Und still. Selbst das Murmeln der Quelle verstummt. Emilio beginnt, sich vor der Nacht zu fürchten. Und davor, allein zu sein. Ob die Königin jemals nach ihm rufen wird? Und wenn sie es tut: Wird er es auch hören können?
„Emilio? Hörst du mich?“
Emilio öffnet die Augen. Er liegt auf dem Sofa in Edanas Wohn -zimmer.
Sie beugt sich über ihn. „Du warst lange unterwegs, weißt du das? Wie ist es dir ergangen?“
Emilio berichtet es ihr. „Vielleicht kannst du mir ja verraten, was es mit der Königin und diesem geheimnisvollen Schloss auf sich hat, nach dem ich, warum auch immer, gesucht habe.“ Gespannt wartet er auf ihre fachkundige Antwort.
„Das Schloss?“ Edana blickt ihn nachdenklich an. „Was du wissen willst, Emilio, ist eigentlich kein Geheimnis. Ihr Menschen wisst es längst und vergesst es doch immer wieder.“ Sie legt sich zu ihm auf das Sofa. Ihr Atem trifft ihn wie ein Sturm. „Das Schloss, Emilio – das Schloss ist unsere Seele!“
Von der Straße ertönt Sirenengeheul. Emilio blickt zum Fenster.
Als es ruhiger geworden ist, kuschelt sich Edana an ihn. „Wir können uns königlich, majestätisch und edelmütig fühlen, im positiven Sinne, versteht sich. Wenn wir aber unser Inneres verleugnen, dann verlieren wir alles und werden, so gesehen, zu Bettlern.“
Emilio erinnert sich an die drei dunklen Wolken der Weisheit: Wir sind allein. Wir haben Angst. Wir suchen Trost. Eine bange Ahnung sagt ihm, dass das auch für Königinnen und Könige gilt. Und wahrschein -lich auch für Lichtelfen und Schwarzalben. Aber das soll ihm am besten die menschgewordene Elfen-Praktikantin erklären.
„Edana! Was genau willst du eigentlich hier? Und auf welche Weise stehen unsere Welten miteinander in Verbindung?“
Die bedingt Auskunftspflichtige fährt ihm sanft mit einer Hand durch die Haare. „Mein irdisches Praktikum dient primär dem Zweck, die Auswirkungen der digitalen Revolution auf das Verhalten der Men-schen zu erkunden. Wir Naturgeister müssen uns eben anpassen, schließlich sind wir keine allmächtigen Götter. Verstehst du?“
Emilio freut es, das zu hören, lässt ihn dieser Befund doch ein bisschen zu Edana aufschließen.
„Bei uns macht zurzeit folgender Witz die Runde: Ein Mensch läuft mit einem brandheißen Smartphone durch die Gegend. Da er ständig fas-ziniert auf das Display schaut, bemerkt er gar nicht, wo er hingerät. Als er die Augen hebt, findet er sich vor einem mit Seerosen bedeckten Teich, in dem sich drei zauberhafte Nymphen räkeln. Sogleich macht er mit seinem Highendgerät einige Aufnahmen, um sie zu posten und der Online-Community zur Verfügung zu stellen. Eine der barbusigen Schönheiten wendet sich ungeniert an ihn: ‚Was hast du denn da in deiner Hand, das dir unterhaltsamer als drei Nymphen ist?‘
Der Mensch erklärt es ihr. Nun fragt ihn die zweite der Lieblichkeiten: ‚Möchtest du denn nicht lieber zu uns ins Wasser kommen? Wir wü rden uns freuen, einen so jungen Burschen bei uns zu haben.‘
Der Mensch, der sich umgehend online über Nymphen kundig ge -macht hat, äußert Bedenken: ‚Ist es denn nicht so, dass Naturgeister wie ihr die Menschen ins Wasser locken, um sie darin zu ersäufen?’
Darauf die Dritte schöntuend: ‚Aber, aber! Das sind doch nur Märchen, du Angsthäschen. Oder gefallen wir dir etwa nicht?’ Weil der Mensch misstrauisch bleibt und sich nicht locken lässt, tauchen die Grazien in das dunkle Wasser ab.
Der Verirrte, weil er zurück nach Hause will, aktiviert die Navi-App seines Phones. Mit blindem Vertrauen folgt er den Ansagen, läuft einen großen Bogen und gelangt so zur anderen Seite des Teiches. Dort, wo der Zufluss mit einer steinernen Mauer eingefasst ist, fällt er prompt in das Wasser, wo er bereits erwartet wird. Als die letzten Luftbläschen verblubbert sind, tauchen die drei Nymphen auf. ‚Seht ihr, meine Schwestern’, meint eine von ihnen hämisch, ‚so einfach geht das, wenn man mit der neuen Technik umzugehen weiß!’“
Edana ist bemüht, ihr Gekicher zu unterdrücken. Ihren zusammenge -pressten Lippen entfahren unanständige Geräusche. „Entschuldigung, Emilio. Aber damit ist deine Frage doch ganz gut beantwortet, wie ich meine? Irgendwie müssen wir die Menschen ja an uns glauben machen; auch wenn es manchmal ein bisschen wehtun mag. Verstehst du?“
Emilio kann sich nur wundern. Auch über sich
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