WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
bieten hatte, doch ihr Herz war schwer.
„Ich bin keine Hoheit, Mutter“, versuchte sie halbherzig das Kommen -de doch noch in letzter Sekunde abzuwenden. „Ich bin eine Priesterin des Windtempels.“
Die Tempel-Mutter lächelte milde. „Im Moment, Kindchen, bist du weder das eine noch das andere. Du bist die Windprinzessin. Dem Windkönig versprochen und seine Braut. Sobald er dich in sein Schloss geholt hat, werdet ihr Hochzeit feiern und das Fortbestehen der Ele-mentare sichern. Dafür …“
„… wurdest du in den letzten Jahren vorbereitet“, beendete Aurora den Satz leise und senkte den Blick. Das Problem war nur, dass sie niemand gefragt hatte, ob sie je dafür ausgebildet werden wollte.
Sie schob den Vorhang wieder zwischen sich und die jubelnde Men -schenmenge und legte die Hände in den Schoß. Nervös knetete sie ihre Finger.
„Du siehst aus wie eine Frühlingsblume, Aurora. Und nun lächle für mich.“ Die Tempelmutter legte ihre raue, warme Hand auf Auroras nervös zitternde Finger und spendete ihr einen Augenblick vertrauten Friedens.
Aurora zog die Mundwinkel nach oben, was die Tempelmutter zu -frieden nicken ließ. Wieder warf sie seufzend einen Blick aus der Kutsche. Doch diesmal nicht, um die Menge zu beobachten, sondern den Himmel. „Glaubst du, es wird regnen?“
Aurora wusste selbst nicht, warum sie diese Frage stellte, doch sie hatte ein unbändiges Bedürfnis nach ihrem Freund aus Kindheitstagen. Seit der Windkönig sie und keines der anderen Mädchen als seine Hoheit erwählt hatte, war ihr Freund immer seltener zu ihr gekommen. Und wann immer die dicken Tropfen gegen die Fensterscheiben trommel -ten, wanderte Auroras Blick sehnsüchtig hinaus. Doch ihr Freund machte sich rar.
In diesem Augenblick erst bemerkte sie den strengen Blick der Tem -pelmutter. „Nein, Aurora, es wird nicht regnen. Der Sonnenkönig hat dir sein schönstes Wetter geschickt, damit an deinem großen Tag alles bestens ist. Sieh` doch, es ist kaum eine Wolke am Himmel.“
Aurora blickte nach draußen. Tatsächlich war heute ein Tag, wie kaum ein anderer in den vergangenen Jahren. Das Wetter war perfekt. Sie wich dem Blick der Tempelmutter aus und beobachtete wieder die Menschen.
Edle Damen in langen Röcken und mit feinen Spitzenschirmchen fl anierten in einiger Entfernung zwischen voll erblühten Riesenkirsch-bäumen und badeten im Duft, der von den handtellergroßen, weißen und rosa Blüten ausging. Einige Kinder spielten Fangen und Ver-stecken, andere kletterten auf Bäume, um das Geschehen besser ver-folgen zu können.
An jeder Straß enecke standen Soldaten in ihren strahlend weißen Galauniformen. Ihre polierten Säbel, Orden und Schnallen glitzerten mit den Wellen am Hafen um die Wette.
Niemand schien an diesem Tag schlecht gelaunt zu sein. Jeder in Ba rbourg war an diesem Tag darauf bedacht, seine Arbeit ruhen zu lassen und sich der Freude dieses einmaligen Ereignisses hinzugeben.
Aurora konnte sie verstehen. So viele Jahre hatten die Menschen unter den ständigen Stürmen gelitten, seit die letzte Gefährtin des Wind -königs in die Ewigkeit eingegangen war. Und nun endlich würde sie die nächste Gefährtin werden und die Stürme würden enden. Es würde wieder Ordnung herrschen und eine Zeit des Wohlstandes würde für ihr Volk anbrechen.
Aurora fühlte die Last der Hoffnung eines ganzen Volkes auf ihren Schultern und kam nicht umhin, Neid zu empfinden: Niemand hatte je gefragt, was Aurora wollte.
Viel schneller als ihr lieb war, erreichten sie den großen Festplatz. Die Menschen waren so weit wie möglich von den kaiserlichen Wachen zurückgedrängt worden, sodass die Kutsche bequem wenden konnte. Abrupt wurde Aurora aus ihren Tagträumen gerissen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Der große Augenblick war gekommen. Und obwohl Aurora den Ablauf der Zeremonie mit den Priesterinnen und Nonnen tausende Male geübt hatte, wurden ihre Hände feucht, als der Wagen-schlag geöffnet wurde.
Als die Menschenmenge Aurora in ihrem weiten nachtblauen Kleid entdeckte, brannte erneut lauter Jubel auf, obwohl auf dem Festplatz selbst nur den Priestern, Priesterinnen und den Wachen des Kaiser -regenten der Zutritt erlaubt war
Ein junges Elementarkind in einem weißen Sommerkleid eilte auf A urora zu und drückte ihr schüchtern einen Strauß blauer Lilien in die Hand.
Aurora lächelte dem Mädchen zu. Doch bevor sie sich bedanken kon nte, ging ein euphorischer Aufschrei
Weitere Kostenlose Bücher