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Weltraumpartisanen 21: Blindflug zur Schlange

Weltraumpartisanen 21: Blindflug zur Schlange

Titel: Weltraumpartisanen 21: Blindflug zur Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Brandis
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355,343 km/sec, und die Vorwarnzeit, die dem Crash-Crash vorausging, lag bei 5 Sekunden. Mir blieb gerade noch Zeit, die Henri Dunant nach unten hin wegzudrücken.
    Ein weniger stabiles Schiff hätte, was ich ihm zumutete, nicht verziehen. Die Henri Dunant hielt stand. Wir kamen noch einmal davon.
    Mit dem Geräusch einer berstenden Klaviersaite schrammte das Stück Metall an der Bordwand entlang und prallte ab – und nichts weiter geschah. Die Implosion, auf die ich wartete, blieb aus. Ich brachte das Schiff auf seinen Kurs zurück und wischte mir den kalten Schweiß von der Stirn. Und immer noch nichts: kein Blackout, keine plötzliche Atemnot, kein lähmender Frost. Angenommen, das Objekt hätte uns frontal erwischt … Wenn das geschehen wäre, gäbe es keine Henri Dunant mehr, sondern allenfalls ein driftendes Trümmerfeld.
    Neben mir vernahm ich ein Aufatmen: Auch Captess Kato war dabei, sich von dem Schrecken zu erholen.
    Bisher war alles nur Reaktion gewesen: instinktives Handeln, hinter dem freilich das unbarmherzige Training stand, zusammengesetzt aus konsequenter Schulung und aus langjähriger Erfahrung. Nun erst kam ich zum Überlegen.
    Nach meinem Gefühl hatte uns das Objekt im oberen Bereich tangiert. Die Berührung war geringfügiger Natur gewesen: ansonsten wäre mir zu dieser Überlegung keine Gelegenheit verblieben. Dennoch war es ratsam, das Schiff zu überprüfen. Ich drückte die Taste und bat um eventuelle Schadensmeldungen.
    Die Stationen meldeten sich in der üblichen Reihenfolge. NC, TC, RC und FC hatten nichts zu beanstanden. Nirgendwo lag ein Defekt vor.
    Captess Kato faßte das Ergebnis in Worte. Mit dem leicht singenden Tonfall, mit dem sie das Metro sprach, sagte sie: »Sir, wir haben mehr Borstenvieh als Gehirn gehabt!«
    Lieutenant Stroganow, der mithörte, schaltete sich als Übersetzer ein.
    »Mehr Schwein als Verstand, Sir. Und das, verdammt, kann man wohl sagen.«
    So war es. Ob Borstenvieh oder Schwein, ob Gehirn oder Verstand –: wir hatten einen Zusammenstoß hinter uns gebracht und waren davongekommen, sogar ohne blaues Auge. Ich nickte Captess Kato zu.
    Die Entladungen, durch die sich die Henri Dunant bewegte, hatten mittlerweile bizarre Formen angenommen. Der bestirnte Himmel, dieser goldgesprenkelte schwarze Samt, war nicht mehr zu sehen. So weit der Blick reichte, war der Raum ausgefüllt mit blutroten wallenden, wehenden, flatternden und brodelnden Impulsen: ein ins Wahnwitzige übersteigertes Polarlicht. 
    »Kontrollgang, Captess!«
    Einen Atemzug lang hatte ich befürchtet, sie würde durchdrehen. Ich hatte sie falsch eingeschätzt. Als sie die Gurte abwarf, war sie ruhig und gelassen wie der abgebrühteste unter meinen Männern. Sie war, weiß Gott, eine kaltblütige Frau, eine japanische Porzellanpuppe aus rostfreiem Chromstahl. 
    »Kontrollgang. Aye, aye, Sir.«
    Als sie auf die Brücke zurückkehrte, sprach ich gerade mit dem Kartenhaus. Auch Lieutenant Stroganow bezeichnete den Energiesturm als ungemein heftig – und bei seiner Fahrenszeit wollte das etwas heißen. Ich beendete die harmlose Plauderei und wandte den Kopf.
    Das Gesicht meiner Pilotin verhieß nichts Gutes.
    »Sir«, sagte Captess Kato, »wir haben starken Strahleneinbruch im Hospital.«
    Über dem Hospital flackerte das Warnlicht und warnte vor dem Betreten des verseuchten Sektors. Hinter der Tür lauerte der lautlose, unsichtbare, geruchsfreie Tod. Ich blieb betroffen stehen. Es hatte die Henri Dunant doch schwerer erwischt, als ich zu Anfang angenommen hatte. Daran, daß uns durch das verdammte Objekt ein Leck geschlagen worden wäre, hatte nicht viel gefehlt. Der entstandene Schaden war auch so nicht unbedenklich. Im Bereich des Hospitals war die Isolierung durchlässig geworden – und das nicht nur in Form einer geringfügigen Leckage. Wir hatten es mit einem massiven Strahleneinbruch zu tun. Das Hospital und der damit zusammenhängende Sektor wie Ambulatorium und Labor waren durch und durch verseucht. Eins war zum anderen gekommen. Der Ausfall des AMS. Das LF-Telegramm. Der Energiesturm. Die Kollision. Ich stand vor den Folgen einer verhängnisvollen Panne.
    Es war nicht der Augenblick, um Ausschau zu halten nach Rechtfertigung. Man mußte handeln, auch wenn man sich keiner Hoffnung mehr hinzugeben brauchte. Zu retten gab es nichts mehr. Einen solchen Strahlenbeschuß hielt kein menschlicher Organismus aus.
    Bis zur Sprechklappe waren es zwei Schritte. Ich zog sie auf, drückte Alle

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