Weltraumpartisanen 24: Astronautensonne
Sir. Ein Energiesturm jagt den andern. Sie werden ein paar Umwege einlegen müssen.“
Eine Viertelstunde später war die Henri Dunant unterwegs.
Nachts wurde ich geweckt. Als ich in die Kleider fuhr, war das Schiff bereits hart am Arbeiten. Das Knistern in den Verbänden verhieß nichts Gutes. Ich betrat das Kartenhaus. Lieutenant Stroganow saß hemdsärmelig hinter dem Computer. Als ich mich zu ihm gesellte, blickte er auf.
„Tut mir leid, Sir“, sagte er. „Der Affentanz ging plötzlich los. Nicht die leiseste Vorwarnung. Frage: Was tun? Bisher stecken wir nur in einem Ausläufer, aber wenn wir weiter Kurs halten…“
Er reichte mir das Meßblatt, das der Bordcomputer soeben ausspuckte. Die Aufzeichnung glich einer wirren Fieberkurve.
„Stärke Sieben, bis jetzt“, sagte Lieutenant Stroganow. „Wenn wir nicht ausweichen, bekommen wir’s zu tun mit Stärke Elf oder mehr. Ich habe da meine Bedenken, ob wir uns das leisten können.“
Ich starrte auf das Meßblatt. Der Energiesturm versprach in der Tat, heftig zu werden. Es war an der Zeit, die Schotten zu schließen: für den Fall, daß es zu Leckagen kam. Kosmische Strahlung hat ihre besondere Heimtücke. Man sieht sie nicht, man hört sie nicht. Man spürt sie erst, wenn man von ihr befallen ist. Und dann gibt es kein Gegenmittel.
Lieutenant Stroganow hatte allen Anlaß, Bedenken anzumelden. Die Henri Dunant war zwar ein solides Schiff, für harten Einsatz gebaut, doch mittlerweile auch reif für eine gründliche Überholung. Zu viele Begegnungen mit kosmischem Staub und versprengten Meteoriten lagen hinter ihr. Der Isolierung war nicht mehr zu trauen.
„Und welchen Kurs“, fragte ich, „schlagen Sie vor, Lieutenant?“ Lieutenant Stroganow wies auf die Kartenwand, auf der sich unsere Position abzeichnete.
„Sie sehen selbst, Sir: wir können uns drehen und wenden, wie wir wollen, wir kommen an dem Schlamassel nicht vorbei. Es sei denn, wir machen kehrt und warten ab.“
Das Knistern in den Verbänden wurde lauter.
„Keine Chance, sich durchzumogeln, Lieutenant?“
Auf der Kartenwand erschien ein Kurs.
„Das wäre eine Möglichkeit, Sir, die einzige. Über Victor Echo Bravo. Aber das müssen Sie entscheiden.“
Der Ausweichkurs brachte uns in die Nähe des Titans und führte durch das Sperrgebiet.
„Mir, Sir,“ sagte Lieutenant Stroganow, „erscheint es unwahrscheinlich, daß Kosmos-Trust uns eine Genehmigung erteilt.“
Die Vorstellung, umzukehren und die Florence Nightingale warten zu lassen, stieß bei mir auf wenig Gegenliebe. Mochte Captain Romens Lage auch nicht weiter bedrohlich sein - unangenehm war sie auf jeden Fall. Ein Schlenker durch die Grenzzone des Sperrgebietes würde seine Wartezeit erheblich abkürzen.
Die Rechtssituation war unklar. Die entsprechende Verordnung trug zwar offiziell den Stempel der EAAU, doch für die Kontrolle war Kosmos-Trust zuständig, eine private Firmengruppe. Bisher hatten die VOR nicht zu erkennen gegeben, ob sie die himmlische Parzellierung hinnahmen oder ob sie unter Berufung auf bestehende Verträge auf die uneingeschränkte Freiheit der Räume pochen würden. Auch die UGzRR mit ihrem politischen Sonderstatus und ihrem humanitären, grenzübergreifenden Aufgabenkatalog war gleichfalls rundweg vor vollendete Tatsachen gestellt worden.
Mein Zögern nahm ein Ende.
„Victor Echo Bravo. Einverstanden, Lieutenant.“ Ich sah auf die Uhr. Ohnehin war es bald an der Zeit, Captess Kato abzulösen, die im Cockpit ihre einsame Mitternachtswache ging. „Geben Sie mir die neuen Koordinaten nach unten durch. Ich übernehme.“
Auf dem Weg zur Brücke kehrte ich im FK ein. Es war nicht besetzt. Ich verzichtete darauf, Lieutenant Levy aus dem Schlaf zu jagen, klemmte mich hinter das LT-Pult und setzte eine kurze Meldung ab. Sie war addressiert an Kosmos-Trust, Metropolis, und lautete:
RRK HENRI DUNANT PASSIERT IM EINSATZ TITAN-SPERRGEBIET VEB.
Es folgten Datum und Uhrzeit.
Mehr konnte man nicht von mir verlangen. Ein Vorwurf, die Henri Dunant habe sich in das Sperrgebiet eingeschlichen, konnte nun zumindest nicht erhoben werden.
Auf der Brücke herrschte das Zwielicht des Raumes. Die Lichter waren gelöscht. Captess Kato lehnte an der Rückwand des Kursschreibers. Sie schien mit offenen Augen zu träumen. Auf ihrem lieblichen Gesicht lag der Silberstaub ferner Welten. Dachte sie an Dr. Hudson, den amerikanischen Arzt, den sie im vergangenen Jahr kennengelernt hatte: damals, als wir als
Weitere Kostenlose Bücher