Weltraumzirkus d'Alembert 6-10 - Letzter Einsatz
ähnliches entdecken. »Ich glaube, das sollen wir gar nicht. Unsere Seelen könnten Schaden nehmen, wenn wir uns womöglich wohl fühlen.«
Pias machte ein Gesicht, und Yvette lachte auf. »Also wirklich, Liebling, man möchte meinen, du hast noch nie gelitten.«
»Ich dachte, ich hätte Erfahrung im Leiden.«
Das Essen entsprach seinem Geschmack auch nicht. Die Pension servierte nur zwei Mahlzeiten pro Tag, morgens und abends. Ihr Abendessen an diesem Tag bestand aus kaltem Auflauf und Brot. Dazu durften sie nach Belieben Wasser trinken. »War das Brot zum Verzehr bestimmt«, fragte Pias nachher, als sie schon im Bett lagen, »oder steinigt man damit hier die Sünder?«
»Hat dir etwa jemand eingeredet, der Agentenberuf wäre mit Glanz und Gloria verbunden?«
»Das bestimmt nicht, aber das andere Extrem geht mir doch zu weit«, grollte Pias.
In den nächsten drei Tagen sahen die SOTE-Agenten sich in der Stadt ein wenig um und versuchten sich mit den herrschenden Sitten und Gebräuchen vertraut zu machen. Purity war keine verstädterte Welt. Hier galt das Prinzip, je näher der Natur, desto näher bei Gott. Die Puritaner hatten ihre Gesellschaft als ländliche Zentren, bestehend aus kleinen Farmen, angelegt. Auch die größten städtischen Zentren, wie God's Will City, hatte nur knapp fünftausend Einwohner.
Das Leben schleppte sich hier in geruhsamem Tempo dahin. Die meisten hielten es für dekadent, wenn nicht gar sündig, mechanisch angetriebene Fahrzeuge zu benutzen. Es gab hier zwar ein paar Bodenfahrzeuge, Luftfahrzeuge und Kopter für Außenweltler, die hier geschäftlich zu tun hatten. Der Großteil des Straßenverkehrs wurde entweder zu Fuß oder in Karren abgewickelt, die von achtbeinigen einheimischen Zugtieren gezogen wurden. Die Straßenläden stellten nichts zur Schau, lockten nicht mit Werbung - nur der Name des Ladenbesitzers war angezeigt, die Art der verkauften Waren oder der geleisteten Dienste.
Yvette fiel es als erster auf, was hier eigentlich geboten wurde. Am zweiten Tag hatte sie bemerkt, daß schätzungsweise jeder fünfte Laden sich in irgendeiner Form mit Religion befaßte - entweder wurden hier religiöse Artikel verkauft, oder aber, was noch häufiger war, es wurden Rat und geistige Führung angeboten. Sie achteten nun näher auf diese Einzelheiten und besprachen die Sache, als sie allein waren.
»Das sieht mir nach einer richtigen Psychose aus«, bemerkte Pias. »Man weiß ja, daß die Puritaner sich allen anderen in der Galaxis überlegen fühlen. Vielleicht steckt es in ihrer Kollektivpsyche, sich anderen überlegen zu fühlen.«
»Und in diesem Fall«, nahm Yvette seinen Gedankengang auf, »werden sie vermutlich an ihren eigenen Grenzen nicht haltmachen. Jeder hier auf dem Planeten ist in einem persönlichen Kampf gegen seine Nächsten begriffen und möchte seine Überlegenheit beweisen.«
Pias nickte. »Genau. Wir haben es mit einem Planeten zu tun, auf dem jeder heiliger als der andere sein möchte.«
›»Heilig‹ ist ein sehr passendes Wort. Aber dieser Zustand ist von einem normalen Menschen nicht über lange Zeit hinweg auszuhalten. Jeder, mag er auch noch so gläubig sein, erlebt hin und wieder Momente des Zweifels. Anders wäre es gar nicht menschlich. Aber hier auf Purity sind Zweifel nicht gestattet. Ließe man sich Zweifel anmerken, dann würde man zugeben, daß man nicht so fromm ist wie die anderen, und daher minderwertig.«
»Daher die vielen religiösen Ratgeber«, folgerte Pias. »Ich vermute, sie haben die Doppelfunktion eines Beichtvaters und Psychiaters. Sie hören sich die Zweifel der Menschen an, reden sie ihnen aus, erklären alles und beruhigen die Gemüter ihrer Klienten, so daß diese sich wieder als gute Gläubige fühlen können. Jede Gesellschaft braucht etwas in dieser Richtung, um die Menschen, die hoffnungslos hinter ihrem Idealbild einherhinken, mit ihren Mängeln zu versöhnen. Je mehr eine Gesellschaft dem Perfektionswahn verfällt, desto mehr Versöhnung mit den Mängeln wird nötig sein.« Er stieß einen Seufzer aus. »Und das hier ist die besessenste Gesellschaft, die ich je kennengelernt habe.«
Je tiefer sie in die Verhältnisse auf Purity eindrangen, desto häufiger sahen sie dieses Prinzip in Aktion. Nach außen hin wurde Purity nach den Grundsätzen der erblichen Aristokratie, wie in der Stanley-Doktrin erläutert, regiert. Die religiöse Philosophie der Puritaner aber lehrte die Menschen, daß im Hinblick auf die Erlösung
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