Weltraumzirkus d'Alembert 6-10 - Letzter Einsatz
stellt, um neue Krieger für seine ruhmreiche Armee zu gewinnen. Hier habe ich eine Stange aus Ribadium-Stahl. Die Stange ist fünfzig Zentimeter lang, zehn Zentimeter dick und wiegt etwa zwölf Kilo. Für diejenigen unter euch, die sagen, daß unser Feind zu stark ist, möchte ich nun ein Beispiel der Kraft geben, die Gott seinen Dienern verleiht.«
Tresa Clunard nahm die Stange in die Hände und schloß die Augen. Ihre Miene nahm einen Ausdruck himmlischer Unschuld an, einen Ausdruck nicht zu erschütternden Selbstvertrauens. Atemlos wartete das Publikum auf das Wunder, das sie angedeutet hatte. Von Gesicht und Händen der Clunard ging ein Leuchten aus, ein Gefühl der Kraft, das von der Bühne aufs Publikum überging und die Menge wie mit Frieden bedeckte.
Alle Blicke ruhten auf der Stange. Einen Augenblick lang schien sie aufzuleuchten mit einer Helligkeit, die die Hände der Predigerin verbrannt hätte, wenn das Leuchten echt gewesen wäre. Die Gelenke der Clunard bewegten sich auseinander, ohne daß ihre Miene Zeichen der Anstrengung hätte erkennen lassen. Die dicke Metallstange gab nach wie Wachs in der Sonne, so daß sie das Ding zu einem großen U biegen konnte. Sie schlug die Augen auf und warf einen Blick auf ihr Werk. Mit einer lässigen Handbewegung warf sie die Stange fort. Diese fiel dank der Drei-g-Schwerkraft auf Purity mit dumpfem Aufprall auf den Holzboden der Bühne. Das Geräusch hallte durch den ganzen riesigen Raum.
Yvette hatte mit großem Interesse zugesehen. Als Artistin wußte sie eine gute Nummer zu schätzen, wenn sie auch diesmal keine Ahnung hatte, wie das ganze vor sich ging. Der Schein konnte von einem geschickten Elektriker bewerkstelligt werden, das Biegen der Stange aber stand auf einem anderen Blatt. Unter ihren Angehörigen gab es Gewichtheber und Ringer, die einen solchen Trick mühelos bewältigt hätten. Diese Leute aber brachten über hundertzwanzig Kilo auf die Waage und hatten so stark entwickelte Muskeln, daß man ihnen ihren Beruf schon von weitem ansah. Tresa Clunard aber wog kaum achtzig Kilo - ihr weites Gewand ließ da kein sicheres Urteil zu, sie wirkte gar nicht muskulös. Sie hatte die Stange mühelos nach Belieben biegen können. Wenn da nicht irgendein Trick dahintersteckte, war sie von Tresa Clunards Können sehr beeindruckt. Vielleicht eine Spur zu stark beeindruckt. In ihrem Hinterkopf bildete sich eine Idee aus, die ihr gar nicht gefallen wollte. Das Publikum staunte atemlos ob des Wunders, und Tresa Clunard nahm diese Fassungslosigkeit hin, als gebühre sie ihr. Sie sah in den verdunkelten Saal, und es war, als nähmen ihre Augen mit jedem einzelnen im Raum Kontakt auf. Sie sah aus, als könne sie den Wert jeder einzelnen Seele genau abschätzen und, wenn nötig, Wechselgeld herausgeben.
Als das Publikum sich beruhigt hatte, sagte sie: »Das ist ein Beispiel dafür, welche Kraft der Herr einem seiner Kinder verleihen kann, das an ihn glaubt und ihn liebt. Wie könnte eine ganze Legion Gläubige, wie könnte die Sache des Heils je einen Kampf verlieren?«
Die Predigerin redete noch eine halbe Stunde in diesem Stil. Sie erklärte, was sie unter dem ›Feind‹ eigentlich verstand, nämlich die Kräfte des Materialismus: Wohlstand, arbeitssparende Maschinen, das Streben nach einem leichten Leben - alles das, was das Denken eines Menschen auf das Diesseits lenkt und ihn das Jenseits vergessen läßt. Sie ließ sich ganz allgemein darüber aus, daß sich die Gläubigen zusammentun und gegen Verfall und Korruption in der Galaxis zu Felde ziehen sollten. Nicht ein einziges Mal nannte sie die Armee der Gerechten direkt, auch sagte sie kein Wort davon, daß man gegen die eingesetzte Regierung die Waffen erheben sollte. Dazu war sie viel zu gerissen.
Die Predigt ging zu Ende, und die Spannung in der Halle wurde immer greifbarer, wie eine Violinsaite, die nur darauf wartet, bespielt zu werden. Und doch hatte das Publikum, abgesehen von den erstaunten Ausrufen beim Biegen der Stange, während der ganzen Predigt keinen Laut von sich gegeben. Als wenn man zu Scheintoten sprechen würde, dachte Yvette fröstelnd.
Der auf die Bühne gerichtete Scheinwerfer erlosch und ließ das Publikum momentan im Dunkeln sitzen. Menschen, die gar nicht bemerkt hatten, daß sie die Luft anhielten, wagten wieder zu atmen, und man hörte sogar das leise Gerutsche von Leuten, die sich im Sitz zurechtsetzten.
Dann wurde es wieder Licht. Auf der Bühne stand Elspeth Fitzhugh. Geduldig
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