Wem die Stunde schlaegt
sah Maria an, die mit der Flasche in der Hand dastand, und zwinkerte ihr zu, und die Tränen liefen ihm aus beiden Augen. »Ja, das!« sagte er. »Ja, das!« Dann leckte er sich die Lippen. » Das tötet den Wurm, der uns quält.«
»Roberto«, sagte Maria und näherte sich ihm, immer noch die Flasche in der Hand. »Möchtest du jetzt essen?«
»Ist das Essen fertig?«
»Es ist fertig, du brauchst nur zu sagen, wann du essen willst.«
»Haben die anderen schon gegessen?«
»Alle bis auf dich, Anselmo und Fernando.«
»Dann wollen wir essen«, sagte er. »Und du?«
»Ich esse nachher mit Pilar.«
»Iß mit uns.«
»Nein. Das gehört sich nicht.«
»Komm und iß. In meiner Heimat ißt der Mann nicht früher als die Frau.«
»Das ist deine Heimat. Hier haben wir andere Sitten, und ich will lieber nachher essen.«
»Iß nur mit ihm«, sagte Pablo, vom Tisch aufblickend. »Iß mit ihm. Trink mit ihm. Schlaf mit ihm. Stirb mit ihm. Befolge die Sitten seines Landes!«
»Bist du betrunken?« fragte Robert Jordan. Er stand nun vor Pablo, der ihm sein schmutziges, mit Stoppeln bedecktes Gesicht zukehrte und ihn vergnügt ansah.
»Ja«, sagte Pablo. »Wo liegt denn deine Heimat, Inglés, das Land, wo die Weiber mit den Männern essen?«
»In den Estados Unidos , im Staate Montana.«
»Und die Männer tragen dort Weiberröcke?«
»Nein. Du meinst Schottland.«
»Aber hör zu!« sagte Pablo. »Wenn du Röcke anhast, Inglés – «
»Ich trage keine Weiberröcke«, sagte Robert Jordan.
»Wenn du also diese Röcke trägst«, fuhr Pablo fort, »was trägst du unter den Röcken?«
»Ich weiß nicht, was die Schotten darunter tragen«, sagte Robert Jordan. »Ich wollte das selbst schon immer wissen.«
»Nicht die Escoceses «, sagte Pablo. »Wer fragt nach den Escoceses ? Wer fragt nach solchen komischen Leuten, die so einen komischen Namen haben? Ich nicht! Mir sind sie ganz egal. Dich meine ich, Inglés. Dich! Was trägst du zu Hause unter deinen Weiberröcken?«
»Zweimal habe ich dir schon gesagt, daß wir keine Röcke tragen. Weder im Scherz noch wenn wir besoffen sind.«
»Aber unter den Röcken! « sagte Pablo hartnäckig. »Weil es doch bekannt ist, daß ihr Röcke tragt. Sogar eure Soldaten. Ich habe Fotografien gesehen, und ich habe sie auch im Circus Price gesehen. Was trägst du unter deinen Weiberröcken, Inglés?« »Los cojones«, sagte Robert Jordan.
Anselmo lachte, und alle, die zuhörten, lachten, bis auf Fernando. Dieses ordinäre Wort, in Anwesenheit von Frauen ausgesprochen, beleidigte sein empfindliches Ohr.
»Na, das versteht sich von selbst«, sagte Pablo. »Aber ich finde, wenn du genug cojones hättest, würdest du keine Weiberröcke tragen.«
»Gib keine Antwort, sonst geht es wieder los, Inglés «, sagte Primitivo, der Mann mit dem glatten Gesicht und der gebrochenen Nase.
»Er ist besoffen. Sag mal, gibt es bei euch zu Hause Vieh und Getreide?«
»Rinder und Schafe«, erwiderte Robert Jordan. »Korn, Weizen und Bohnen. Und auch sehr viel Zuckerrüben.«
Die drei hatten sich jetzt zu Tisch gesetzt, und die übrigen saßen dicht neben ihnen, bis auf Pablo, der etwas abseits vor einer mit Wein gefüllten Schale saß. Es gab dasselbe Ragout wie am Abend zuvor, und Robert Jordan aß mit gutem Appetit.
»Gibt es auch Berge in deiner Heimat? Es muß dort wohl Berge geben, das sagt schon der Name.« Primitivo bemühte sich auf höfliche Art, ein Gespräch in Gang zu bringen. Pablos Betrunkenheit war ihm peinlich.
»Sehr viele und sehr hohe Berge.«
»Und gutes Weideland?«
»Ausgezeichnetes Weideland. Im Sommer haben wir die hochgelegenen Wiesen in den von der Regierung kontrollierten Wäldern, und im Herbst wird das Vieh ins Tal getrieben.«
»Gehört der Boden den Bauern?«
»Meistens gehört der Boden dem, der ihn bebaut. Ursprünglich hat der gesamte Boden dem Staat gehört, und wer sich bereit erklärte, ihn zu bebauen und zu verbessern, konnte 150 Hektar für sich beanspruchen.« »Sag mir, wie das vor sich geht«, sagte Agustín. »Das ist eine Agrarreform, die gar nicht so ohne ist.«
Robert Jordan erklärte ihm das amerikanische Siedlungswesen, das er selber noch nie als ein Stück Agrarreform betrachtet hatte.
»Großartig«, sagte Primitivo. »Dann habt ihr also Kommunismus in deiner Heimat?«
»Nein. Das geschieht alles unter der Republik.«
»Ich finde«, sagte Agustín, »es gibt nichts, was man nicht unter der Republik
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