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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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eine einschneidige Rasierklinge hervor. »Das da habe ich immer bei mir«, erklärte sie. »Pilar sagt, man muß es hier dicht unter dem Ohr ansetzen und dann hier herüberziehen.« Sie zeigte es ihm mit dem Finger. »Pilar sagt, daß hier eine große Ader ist, und wenn man die Klinge hier herunterzieht, kann man die Ader gar nicht verfehlen. Sie sagt auch, daß es nicht weh tut, und man muß nur die Klinge fest unter dem Ohr hineindrücken und sie nach unten ziehen. Sie sagt, es ist gar nichts dabei, und nachher können die Leute nichts mehr dagegen tun.«
 »Richtig«, sagte Robert Jordan. »Das ist die Halsschlagader.«
 Das trägt sie also immerzu mit sich herum, dachte er, und rechnet damit wie mit einer bestehenden und im voraus erwogenen Möglichkeit...
 »Aber ich möchte lieber, daß du mich erschießt«, sagte Maria. »Versprich mir, daß du mich erschießen wirst, wenn es irgendeinmal nötig sein sollte.«
 »Ja«, sagte Robert Jordan. »Ich verspreche es dir.«
 »Ich danke dir sehr«, sagte Maria. »Ich weiß, es wird dir nicht leicht fallen.«
 Man vergißt das alles, dachte er. Wenn man sich zu sehr auf die Arbeit konzentriert, vergißt man die Schönheiten des Bürgerkriegs. Du hattest das bereits vergessen. Na, man soll es ja vergessen. Kaschkin konnte es nicht vergessen, und es störte ihn bei der Arbeit. Oder glaubst du, der arme Teufel hat was geahnt? Es ist sonderbar, das Erschießen Kaschkins hat ihn völlig kaltgelassen. Er erwartete, daß sich eines Tages irgend etwas in ihm rühren würde. Aber bisher hat sich nichts in ihm gerührt.
 »Es gibt auch noch andere Dinge, die ich für dich tun kann«, sagte Maria, die nun, sehr ernst und frauenhaft, dicht an seiner Seite ging.
 »Außer mich zu erschießen?«
 »Ja, ich kann für dich Zigaretten drehen, wenn du keine solchen mit Mundstück mehr hast. Pilar hat mir gezeigt, wie man gute Zigaretten dreht, fest und sauber, und daß kein Tabak herausläuft.« »Ausgezeichnet«, sagte Robert Jordan. »Leckst du sie selber ab?«
 »Ja«, sagte das Mädchen, »und wenn du verwundet bist, werde ich dich pflegen und deine Wunde verbinden und dich waschen und dich füttern –«
 »Vielleicht werde ich gar nicht verwundet sein«, sagte Robert Jordan.
 »Dann werde ich dich pflegen, wenn du krank bist, und dir Suppen kochen und dich waschen und alles für dich tun. Und ich werde dir auch vorlesen.«
 »Vielleicht werde ich gar nicht krank sein.«
 »Dann werde ich dir morgens, wenn du aufwachst, Kaffee bringen.«
 »Vielleicht mag ich keinen Kaffee«, sagte Robert Jordan.
 »Doch, du magst Kaffee«, sagte das Mädchen fröhlich. »Heute früh hast du zwei Tassen getrunken.«
 »Angenommen, ich kriege den Kaffee satt, und es ist nicht nötig, mich zu erschießen, und ich bin weder verwundet noch krank, und ich gebe das Rauchen auf und habe nur ein Paar Socken und hänge meinen Schlafsack selber an einen Baum. Was dann, Kaninchen?« Er klopfte ihr auf den Rücken. »Was dann?«
 »Dann«, sagte Maria, »borge ich mir die Schere von Pilar und schneide dir die Haare.«
 »Ich lasse mir nicht gern die Haare schneiden.«
 »Ich auch nicht«, sagte Maria. »Mir gefallen deine Haare, wie sie sind. So. Wenn ich nichts für dich tun kann, werde ich neben dir sitzen und dich anschauen, und in der Nacht werden wir miteinander schlafen.«
 »Gut«, sagte Robert Jordan. »Dieser letzte Vorschlag ist sehr vernünftig.«
 »Das finde ich auch«, sagte Maria lächelnd. »Oh, Inglés !« »Ich heiße Roberto.«
 »Nein. Ich nenne dich Inglés, so wie Pilar.«
 »Trotzdem heiße ich Roberto.«
 »Nein«, sagte sie. »Jetzt heißt du einen ganzen Tag lang Inglés. Und, Inglés, kann ich dir bei deiner Arbeit helfen?«
 »Nein. Was ich jetzt zu tun habe, das tue ich im Kopf, ganz allein und ganz kühl.«
 »Gut«, sagte sie. »Und wann bist du damit fertig?«
 »Heute abend, wenn ich Glück habe.«
 »Gut«, sagte sie.
 Jetzt kamen sie zu dem letzten Stück Wald, hinter dem das Lager lag.
 »Wer ist denn das ?« fragte Robert Jordan und deutete hinunter.
 »Pilar«, sagte das Mädchen, an seinem Arm entlangblickend. »Ja, das ist Pilar.«
 Am unteren Rand der Wiese, wo die ersten Bäume standen, saß die Frau, den Kopf auf die Arme gelegt. Aus der Ferne sah sie wie ein schwarzes Bündel aus, schwarz vor dem Braun eines Baumstamms.
 »Komm«, sagte Robert Jordan und begann in großen Sätzen durch das kniehohe Heidekraut zu laufen. Das war recht

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