Wem die Stunde schlaegt
Bedingungen des vollkommenen Meuchelmordes anzunähern. Machen große Worte die Sache akzeptabel? Machen sie das Morden schmackhafter? Wenn du mich fragst, mein Lieber, dann hast du dich nur allzu bereitwillig darauf eingelassen – sagte er zu sich selber. Und wie es mit dir aussehen wird, wenn du die Dienste der Republik verläßt, und wozu du dann noch taugen wirst, das ist mir, dachte er, äußerst zweifelhaft. Aber ich vermute, du wirst das alles loswerden, wenn du darüber schreibst. Wenn du es erst einmal niederschreibst, wird es verschwinden. Es wird das ein gutes Buch werden, falls du dazu kommst, es zu schreiben. Besser als das andere. Aber inzwischen ist dein ganzes Leben jetzt und weiterhin nur das Heute, das Heutenacht, das Morgen, das Heute, das Heutenacht, das Morgen, immer wieder und wieder (hoffentlich), und deshalb ist es besser, du machst dir deine Zeit zunutze und bist dankbar für jede Minute. Für den Fall, daß die Geschichte mit der Brücke schiefgeht. Sie sieht im Augenblick nicht sehr rosig aus.
Aber Maria ist nett gewesen. Oder nicht? Vielleicht ist das jetzt alles, was mir vom Leben beschieden ist. Vielleicht ist das mein Leben, und statt siebzig Jahre zu währen, währt es 48 Stunden oder 70 oder vielmehr 72 Stunden. 24 Stunden hat der Tag, das macht in drei vollen Tagen 72 Stunden.
Es müßte doch möglich sein, in siebzig Stunden sein Leben ebenso auszuschöpfen wie in siebzig Jahren, vorausgesetzt, daß man bis dahin aus dem vollen gelebt und ein gewisses Alter erreicht hat.
Was ist das für dummes Zeug, dachte er. Was für Unsinn du dir ausdenkst! Das ist wirklich lauter Unsinn. Und vielleicht ist es doch nicht reiner Unsinn. Wir werden ja sehen. In Madrid habe ich das letzte Mal mit einem Mädchen geschlafen. Nein, doch nicht. Es war in El Escorial, und abgesehen davon, daß ich nachts aufwachte und mir einbildete, es sei jemand anders, und sehr aufgeregt war, bis ich merkte, wer in Wirklichkeit neben mir lag, war das Ganze nicht der Rede wert, so als ob man in Asche wühlte; eigentlich aber ganz angenehm. Und das vorletzte Mal, in Madrid, war es genau dasselbe, oder noch weniger interessant, abgesehen davon, daß ich mir was vormachte und zusammenphantasierte, als ob es eine andere wäre, mit der ich schlief. Ich bin also keineswegs ein romantischer Lobredner der Spanierin, und diese gelegentlichen Sachen haben mir nie viel mehr bedeutet als die entsprechenden Abenteuer in einem beliebigen anderen Land. Aber wenn ich bei Maria bin, liebe ich sie so sehr, daß ich buchstäblich das Gefühl habe, ich möchte sterben, und ich habe an so etwas nie geglaubt und nie gedacht, daß es das gibt. Wenn also mein Leben seine siebzig Jahre gegen siebzig Stunden eintauscht, habe ich doch den vollen Wert erhalten, und zu meinem Glück weiß ich es auch. Und wenn es keine Dauer mehr gibt und kein restliches Leben mehr und kein Von-heutean, sondern nur das Heute, dann sollst du das Heute loben, und ich bin mit dem Heute zufrieden. Ahora, maintenant, now, heute – wie komisch das klingt, wenn es eine ganze Welt und ein ganzes Leben bedeuten soll. Esta noche, heute abend, ce soir, tonight. Das Leben und die Frau, la vie und le mari. Nein, das stimmt nicht. Im Französischen wird das ein Ehemann. Now und Frau, aber auch das beweist nichts. Nimm dead, mort, muerto und tot. Tot ist das toteste von allen. War, guerre, guerra und Krieg. Krieg, das klingt am kriegerischsten, wie. Oder vielleicht nur deshalb, weil du das Deutsche weniger gut beherrschst. Sweetheart, chérie, prenda und Schatz. Ich gebe sie alle für Maria her. Das ist ein Name!
Na, sie werden es gemeinsam versuchen, und es dauert nicht mehr lange. Ja, immer schlimmer sieht es aus. Unmöglich, die Geschichte am hellichten Morgen glücklich zu Ende zu bringen! In solchen unmöglichen Situationen wartet man mit dem Abfahren, bis die Nacht hereinbricht. Man versucht, so lange auszuhalten, bis es dunkel wird, und erst dann haut man ab. Vielleicht geht's glatt, wenn man sich halten kann, bis es dunkel wird. Wie also, wenn du am hellichten Tag versuchst, dich festzubeißen und durchzuhalten? Ja, wie ist das? Und der arme, verdammte Sordo, der sein Pidgin-Spanisch fallen läßt, um mir das alles so sorgfältig zu erklären! Als ob ich nicht seit dem Gespräch mit Golz immer wieder darüber nachgedacht hätte, wenn ich auf schlechte Gedanken kam! Als ob es mir nicht die ganze Zeit wie ein unverdauter Teigklumpen im Magen gelegen hätte, seit
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