Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)
hinten, wo die Bogenschützen standen, konnte ich Nevittas Leute sehen, darunter den jungen Rufus auf seiner grauen Stute, der gerade über einen Scherz lachte. Neuerdings, wenn wir uns in den Säulengängen über den Weg liefen, schaute er absichtlich weg und tat, als hätte er mich nicht gesehen. Ich fasste das nicht als Beleidigung auf, sondern verstand, dass er nicht daran erinnert werden wollte, was ich über ihn wusste. Es ließe sich nicht mit dem nassforschen jungen Mann in Einklang bringen, der er geworden war oder zu sein versuchte.
Trotz dieser Maske konnte man die Verletztheit in seinen Augen erkennen. Nevittas Freunde jedoch waren Männer, die so etwas nicht wahrnahmen, und vielleicht war ihm das klar gewesen.
Rings um die Bühne drehten Männer die Köpfe, und kurz darauf stieg Julian mit forschem Schritt die Stufen hinauf und bedeutete Leonas, ihm zu folgen. Der Bote hatte sein stolzes Getue abgelegt. Julian dagegen war wie immer: gesammelt, ernst und nachdenklich. Das Gemurmel der Soldaten verstummte nach und nach. Julian sprach in die erwartungsvolle Stille und bat die Männer, sich anzuhören, was der Bote des Kaisers ihnen zu sagen wünschte.
Dann trat er zurück. Leonas schaute sich angespannt um und blickte über die grimmigen Gesichter, die zu ihm heraufsahen. Einen Moment lang umklammerte er das Geländer der Plattform, bis er sich dessen bewusst wurde, woraufhin er die Hand so hastig zurückzog, als hätte er sich verbrannt.
Er begann mit seiner Ansprache.
Die Männer hörten ihm schweigend zu. Erst als die Rede darauf kam, dass Constantius von Julian Verzicht verlangte, war es mit der Stille vorbei. Zorniges Gebrüll erhob sich, das die Vögel aus dem nahen Eichenwäldchen aufscheuchte; es übertönte die Worte des Redners und zwang ihn, innezuhalten. Am Hang hinter den Reihen der Soldaten hatten sich die Bürgerder Stadt eingefunden, um zuzuschauen. Als sie hörten, was gesagt worden war, fielen sie in die entrüsteten Rufe ein und fuchtelten mit den Armen.
Leonas wartete. Angesichts von so viel Zorn, der sich gegen ihn allein richtete, war er blass geworden. Er drehte sich um und rief Julian etwas zu. Der ließ sich einen Moment Zeit; dann trat er vor und hob die Hand, worauf wieder Stille einkehrte.
»Ihr habt gesprochen«, stellte er fest. »Ihr habt eure Antwort gegeben, und der Bote hat sie vernommen. So erlaubt ihm nun, in Frieden abzureisen und Constantius eure Antwort zu überbringen.«
Er wandte sich ab und stieg die Stufen hinab, während ringsumher die Männer jubelten und nach vorn drängten. Nach einem entsetzten Blick auf die heranwogende Menge eilte Leonas ihm nach und hielt sich dicht bei uns Offizieren, für den Fall, dass die Soldaten ihn doch ergreifen wollten.
Am nächsten Tag reiste er in aller Frühe ab. Julian akzeptierte zwischenzeitlich die Ernennung des Quästors Nebridius zum neuen Präfekten. Seine übrigen Beamten bestimmte er selbst. Er holte Dagalaif, den germanischstämmigen Befehlshaber der Petulantes, in seinen Stab, ließ Lupicinus frei und schickte ihn an den Hof zurück, ernannte Nevitta zum neuen Heermeister und beförderte Marcellus in dessen Offiziersstab, desgleichen den gutmütigen, zurückhaltenden Jovinus, der während der Kämpfe am Rhein gut gedient hatte.
Als sich das rechte Wetter für Feldzüge einstellte, setzten wir uns nach Untergermanien in Marsch, überquerten den Fluss bei der befestigten Siedlung Xanten und führten Krieg gegen die fränkischen Stämme der Region, die aufgrund unserer Zwistigkeiten beschlossen hatten, Raubzüge hinter der Grenze zu unternehmen.
Im Herbst zogen wir durch das Rhonetal nach Süden zu der schönen Stadt Vienne. Dort ließ Julian Spiele veranstalten, um die fünf Jahre in Gallien zu feiern. Ich machte mir zu der Zeit Gedanken über Nevitta.
Macht offenbart den Mann, wie Marcellus’ Großvater einmal gesagt hatte. Seit Marcellus der Stellvertreter Nevittas war und wir beide uns mehr in seiner Gesellschaft aufhielten, als uns lieb sein konnte, fielen mir diese Worte wieder ein. Nach seiner Beförderung war Nevitta noch unausstehlicher als zuvor. Er betrachtete seine Ernennung zum Heermeister offenbar nicht als Anerkennung seiner Tugenden, sondern als amtliche Genehmigung seiner Laster.
Während des Sommers war sein aggressives Selbstvertrauen gewachsen, ebenso das seiner Günstlinge. Darüber hinaus waren er und Marcellus natürliche Gegner. Marcellus dachte wie sein Großvater und war der
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