Wen die schwarze Göttin ruft
glaube nicht, daß Sie überleben werden.«
»Halt!« Paul Stricker streckte den Arm aus. »Sie verkennen meine Lage, Dombono. Fordern Sie mich zu einem medizinischen Duell heraus?«
»Vielleicht.«
»Ihre ersten Worte ließen das ahnen. Was für ein Duell! Sie haben anscheinend alles – ich habe nichts.«
»Wir brauchen beide nur unseren Geist. Das genügt. Es geht um eine Diagnose, Doktor Stricker!«
»Ich verstehe nichts mehr.« Stricker folgte langsam Dombono, der vorausging. Die Soldaten in ihren Lederschuppen-Uniformen zogen ihren Kreis enger und beleuchteten die Straße zum Palast.
»Meine Freunde hängen da oben in Käfigen und warten auf ihren grausamen Tod, und Sie wollen mit mir über eine unklare Diagnose diskutieren! Ist es so?«
»So ähnlich.«
»Sie müssen mich für ein Wesen halten, dessen Nerven in einem Drahtkabelwerk hergestellt worden sind, Dombono!« Stricker blieb stehen. »Wollen Sie mich auf eine besonders bestialische Art zerstören?«
»Nein! In Urapa lügt man nicht.«
»Dann wäre es das Paradies.« Stricker blickte zurück zur Mauer, wo oben in der Schwärze der Nacht die Käfige hingen. Ein paar unbestimmbare Laute wehten von dort herab. Heimbach schien wieder zu schreien, zu beten und zu flehen. »Ihr Leben gegen meine Diagnose?«
»Ja. So will es die Königin.«
»Wir werden also weiterleben, wenn meine Diagnose richtig sein sollte?« Stricker atmete tief. »Aber wir werden Urapa nie mehr verlassen dürfen, nicht wahr?«
»Das wäre der Lohn einer zweiten ärztlichen Kunst: die Heilung.« Dombono lächelte verhalten. Sein faszinierendes Gesicht, diese fremdartige Mischung aus orientalischen und europäischen Zügen, verlor die bisherige Härte. Etwas wie Befriedigung lockerte seine Miene auf. »Hier werden Sie scheitern, Doktor Stricker. Sie und Ihre Freunde werden so lange leben wie Ihr Patient.«
»Ein Glück, daß so etwas nicht in den Satzungen der deutschen Ärztekammer steht!« Stricker flüchtete sich wieder in seinen Sarkasmus. Ein medizinisches Duell in einer Stadt, an der dreitausend Jahre spurlos vorbeigegangen waren. Welch eine absurde und doch bestehende Welt! Er blieb wieder stehen und blickte noch einmal an der riesigen Mauer empor. Ganz schwach, aber in der fast vollkommenen Stille jetzt noch deutlich vernehmbar, klang Heimbachs vor Angst plärrende Stimme aus den Käfigen herab.
»Führen Sie mich schnell zu dem Patienten!« sagte Stricker laut zu dem wartenden Dombono. »Was hier auch ausgebrütet wird – ich bin bereit, mich jeder Prüfung zu stellen!«
Der Kranke lag auf einem breiten Bett. Eine golddurchwirkte Decke verbarg ihn völlig, über den Kopf hatte man einen Schleier aus Goldfäden gebreitet, wie ihn Stricker schon bei der Königin von Urapa gesehen hatte. Sie hatte darunter ihr Haar verborgen.
Um ihn her waren wieder die kahlen, hohen Wände mit der goldenen, zu merkwürdigen Ornamenten gehämmerten Verkleidung, in denen der Lichtschein sich hundertfach brach und zu einem einzigen Strahlen wurde. Veronika hätte diese Wandplastiken erklären können – für Stricker waren sie nur überwältigend in ihrer Schönheit und Strahlkraft.
Der Raum war, verglichen mit den übrigen Dimensionen des Palastes, klein, aber durch seine Höhe wirkte er gewaltig. Er war leer bis auf das Bett aus geschnitzten Elefantenzähnen. Der Kranke lag regungslos unter seiner Decke, und einen Augenblick hatte Stricker den Verdacht, daß er schon tot war und daß Dombono ihm jetzt, wenn er den Körper berührte, den Tod zuschieben wollte: Der Fremde hat ihn angefaßt, und vor Entsetzen ist seine Seele aus dem Körper geflohen …
»Was soll das?« fragte Stricker und blieb zwei Meter vor dem Bett stehen. »Ich habe keine Röntgenaugen.«
»Was ist Röntgen?« fragte Dombono mißtrauisch.
Stricker winkte ab. Was sollte man darauf antworten? Daß es Strahlen gab, mit denen man in einen menschlichen Körper hineinsehen konnte? Die alles zeigten, wie es innen aussah, ohne daß man den Körper aufschneiden mußte? Wie kann man das einem Menschen erklären, der dreitausend Jahre von der übrigen Welt entfernt lebt?
»Wer ist das?« fragte Stricker statt einer Erklärung.
»Mein Sohn.« Die kalte und doch faszinierende Frauenstimme! Stricker drehte sich um. Wie eine Statue stand die Göttin von Urapa an der Wand, als wäre sie soeben aus der Goldverkleidung herausgetreten. Gold in Gold … nur das Oval ihres Gesichtes und ihre Hände, gekreuzt über den Brüsten,
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