Wen die schwarze Göttin ruft
Schmetterling nicht zu finden.
Er mietete sich einen Jeep, packte Verpflegung für sechs Wochen ein und fuhr trotz aller Warnungen von Polizei- und Regierungsstellen los.
»Ich bin ein total unpolitischer Mensch!« sagte Harthricourt. »Ich habe unter Kopfjägern gelebt, da werde ich doch noch im friedlichen Uganda einen Schmetterling jagen können.«
Er fuhr also an einem Montag von der Bergstation Kilembe ab. Hier hörte die offizielle Straße auf, was dann kam, war nur ein Geröllweg, der im Urwald und in den Felsen endete. Seit dem Tag hatte man nie wieder etwas von René Harthricourt gehört. Er und sein Jeep blieben verschwunden, und nach zwei Monaten wurde die Suche aufgegeben.
Vermißt. Auch heute noch ist Afrika voller Geheimnisse …
René sah seinen handtellergroßen Schmetterling mit den tiefroten haarigen Flügeln irgendwo in den Mondbergen. Wo er sich befand, war ihm egal, einen Weg zurück gab es immer. Man brauchte nur abwärts zu gehen, dann erreichte man automatisch die Savanne. Aber Harthricourt marschierte aufwärts, seinem herrlichen Schmetterling nach. Er ließ den unbrauchbar gewordenen Jeep stehen und fluchte über das ›schöne Biest‹, das ihn zu narren schien und mit ihm spielte. Es flatterte vor ihm her, immer so weit, daß er es nicht mit seinem Netz fangen konnte, aber auch immer so nahe, daß er es ständig sah. »Ein völliges Fehlverhalten!« sagte René begeistert. »Ein Biest ohne Heimatinstinkt. Na warte, ich kriege dich doch!«
An einem Nachmittag – er erholte sich gerade und kochte auf einem Spirituskocher eine Tasse Kaffee, der rote Schmetterling saß zehn Schritte von ihm entfernt auf einem Ast – traten plötzlich drei in schwarze Schuppen-Uniformen gekleidete Männer hinter den Felsen hervor. Harthricourt schaltete schnell, schnellte sich zur Seite und lief davon. Er lief weiter in die Berge hinein, in der logischen Annahme, daß die in deutlich feindseliger Absicht sich nähernden Männer aus dem Wald unter ihm kommen mußten – und, wie sechzehn Jahre später Doktor Alex Huber, erreichte auch er die in dieser Einsamkeit völlig verrückte, ausgebaute Straße, rannte und rannte, bis er endlich vor Urapa stand, der Stadt im Felsenkessel, dem geheimnisvollen, unbekannten Reich, das ein König vor Jahrtausenden gegründet hatte.
Harthricourt war so überwältigt, daß er sich schlichtweg von den auf ihn losstürmenden Soldaten gefangennehmen ließ. Er hatte einen seltenen Schmetterling fangen wollen und hatte dabei ein Stein gewordenes und zugleich quicklebendiges Märchen entdeckt.
Damals hatte Sikinika nach urapischer Zeitrechnung siebzehn Winter gezählt, ein Mädchen, das in dieser Stadt der Wunder das größte Wunder war. Ihr Vater, Sikirahmis, war seit neun Monaten tot; ihre Mutter, die sie nie gekannt hatte, über die niemand in Urapa sprach und von der auch Dombono, damals schon oberster Priester, schwieg, war nur eine Erinnerung in einer Tempelnische, wo man sie eingemauert hatte. Sikinika hatte den Thron bestiegen, war zur Göttin erkoren, lebte unter ihrem Goldpuder und dem Diamantenstaub auf ihrem Gesicht, wurde von Dombono zur Statue erzogen und kannte nichts als ihr Gottdasein.
Da brachte man René Harthricourt. Dombono wollte ihn sofort den Göttern opfern, aber Sikinika war neugierig. Wie sehen die Menschen außerhalb von Urapa aus? Wie sprechen sie? Wie bewegen sie sich? Sind sie schöner oder häßlicher als die Uraper? Ein Mädchen mit siebzehn Jahren besitzt eine ganz natürliche Neugier auch in der Rolle einer Göttin.
René wurde zu Sikinika gebracht. Und diese erste Begegnung entschied alles.
Man konnte über René Harthricourt noch so lästern und ihm sein Playboy-Leben übelnehmen, ihn einen Nichtstuer nennen oder einen verrückten Hund, eines beherrschte er blendend: den Umgang mit Frauen!
Er trat auf Sikinika zu, ergriff ihre starre Hand und küßte sie. Er handelte sich dafür zwar von Dombono und seinen Priestern eine wüste Prügelei ein, aber als er nach zwei Wochen Erholung wieder zu Sikinika geführt wurde, sagte er galant: »Mademoiselle, ich habe gehört, hier kann man sein Herz opfern. Bitte, nehmen Sie das meine hin! Es ist ohnehin gebrochen – beim ersten Blick, den Sie mir geschenkt haben.«
Der Gefahr, in der er in Urapa lebte, war er sich nicht bewußt. Für ihn war diese Märchenstadt der allergrößte Schmetterling seiner Sammlung.
Es muß hinter verschlossenen Türen einen harten Kampf zwischen Sikinika und
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