Wendekreis des Krebses
verrückt. Ich muß raus aus diesem beschissenen Land. Es ist nichts für mich. Ich weiß, es ist zur Zeit mies in Amerika, aber trotzdem … Man wird hier verdreht … alle diese billigen Schnallen, die den ganzen Tag auf ihrem Hintern sitzen und mit ihrer Tüchtigkeit prahlen, dabei ist keine einen dreckigen Heller wert! Sie sind alle Versager – darum kommen sie herüber. Sag, Joe, hast du nie Heimweh? Du bist ein komischer Kerl … es scheint dir hier zu gefallen. Was findest du daran? … Ich wollte, du würdest mir das sagen. Ich wollte bei Gott, ich könnte aufhören, über mich nachzudenken. Ich bin innerlich ganz durcheinander … es ist wie ein Klumpen da drinnen … Ich weiß, daß ich dich zu Tode langweile, aber ich muß mit jemandem reden. Mit den Kerlen da oben kann ich nicht reden … du weißt, wie diese Burschen sind … sie haben alle ihre Nebenbeschäftigung. Und Carl, der kleine Pint, ist so verdammt selbstsüchtig. Ich bin ein Egoist, aber ich bin nicht selbstsüchtig. Das ist ein Unterschied. Ich bin Neurotiker, vermutlich. Ich kann nicht aufhören, über mich nachzudenken. Nicht, weil ich mich für so wichtig halte … Ich kann einfach an nichts anderes denken, das ist alles. Wenn ich mich in eine Frau verlieben könnte, das könnte vielleicht etwas helfen. Aber ich kann keine Frau finden, die mich interessiert. Ich bin in einer Klemme, das siehst du doch? Wozu rätst du mir? Was würdest du an meiner Stelle tun? Hör mal, ich will dich nicht länger aufhalten, aber wecke mich morgen – um halb zwei –, ja? Ich gebe dir etwas extra, wenn du meine Schuhe putzt. Und paß auf, wenn du ein Hemd übrig hast, ein sauberes, bring’s mit, ja? Scheiße, ich schleife mir die Eier ab bei dieser Arbeit, und es wirft nicht einmal ein sauberes Hemd für mich ab. Sie springen mit uns um hier wie mit einem Haufen Nigger. Na schön, Scheiße! Ich mache einen Spaziergang … spül mir den Dreck aus dem Bauch. Vergiß nicht: morgen !»
Etwa sechs Monate dauert dieser Briefwechsel mit der reichen Pritsche – Irène – nun schon. In der letzten Zeit suche ich jeden Tag Carl auf, um die Geschichte zu einer Entscheidung zu bringen, denn was Irène betrifft, hätte die Sache endlos weiter gehen können. In den letzten Tagen wurde eine richtige Lawine von Briefen ausgetauscht; der letzte Brief, den wir abschickten, war fast vierzig Seiten lang und in drei Sprachen verfaßt. Er war ein Potpourri, dieser Brief – Schlußwendungen aus alten Romanen, Zeilen aus der Sonntagsbeilage, rekonstruierte Fassungen alter Briefe an Llona und Tania, zurechtgestutzte Transkriptionen von Rabelais und Petronius – kurzum, wir taten unser Bestes. Endlich faßt Irène den Entschluß, aus ihrer Muschelschale hervorzukommen. Endlich kommt ein Brief an, der ein Rendezvous in ihrem Hotel vereinbart. Carl schifft in die Hose. Eine Sache ist es, Briefe an eine unbekannte Frau zu schreiben, und eine vollständig andere, sie aufzusuchen und mit ihr zu schlafen. Im letzten Augenblick zittert und bibbert er, so daß ich fast fürchte, als Ersatzmann für ihn einspringen zu müssen. Als wir vor ihrem Hotel aus dem Taxi steigen, zittert er so, daß ich ihn erst um den Block führen muß. Er hat bereits zwei Pernods getrunken, aber ohne die geringste Wirkung. Allein schon der Anblick des Hotels wirkt niederschmetternd auf ihn; es ist ein prätentiöser Bau mit einer von jenen riesigen, leeren Empfangshallen, in denen Engländerinnen stundenlang mit leerem Blick dasitzen. Um sicher zu gehen, daß er nicht davonläuft, blieb ich neben ihm stehen, während der Portier anrief, um ihn anzumelden. Irène war da und erwartete ihn. Als er in den Lift stieg, warf er mir einen letzten verzweifelten Blick zu, einen dieser stummen Hilferufe, die ein Hund an einen richtet, wenn man ihm eine Schlinge um den Hals legt. Als ich durch die Drehtür ging, fiel mir Van Norden ein …
Ich gehe ins Hotel zurück und warte auf einen Anruf. Er hat nur eine Stunde Zeit und hat versprochen, mir das Ergebnis mitzuteilen, bevor er zur Arbeit geht. Ich überfliege die Durchschläge der Briefe, die wir ihr geschickt haben. Ich suche mir die Situation vorzustellen, wie sie jetzt ist, aber bringe es nicht fertig. Ihre Briefe sind viel besser als unsere, sie sind offensichtlich ernst gemeint. Inzwischen haben sie einander kennengelernt. Ich frage mich, ob er noch in die Hose schifft.
Das Telefon läutet. Seine Stimme klingt komisch, schrill, so, als wäre er gleichzeitig
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