Wendekreis des Krebses
in Schrecken versetzt und voll Jubel. Er bittet mich, statt seiner ins Büro zu gehen. «Sag dem Kerl irgendwas! Sag ihm, ich liege im Sterben …»
«Hör zu, Carl, kannst du mir erzählen …»
«Hallo! Sind Sie Henry Miller?» Es ist eine Frauenstimme. Es ist Irène. Sie sagt Hallo zu mir. Ihre Stimme klingt schön durchs Telefon. Wirklich schön. Einen Augenblick bin ich in völliger Verwirrung. Ich weiß nicht, was ich zu ihr sagen soll. Ich würde gerne sagen: «Hören Sie, Irène, ich glaube, Sie sind schön … ich glaube, Sie sind wundervoll .» Ich möchte ihr gern etwas Wahres sagen, ganz gleich, wie dumm es klingen würde, denn jetzt, wo ich ihre Stimme höre, ist alles anders. Aber ehe ich meinen Verstand zusammennehmen kann, ist wieder Carl am Telefon und sagt mit seiner seltsamen, schrillen Stimme: «Sie mag dich, Joe. Ich habe ihr alles von dir erzählt.»
Im Büro muß ich für Van Norden Korrekturen lesen. Als es Zeit zum Umbruch ist, schiebt er mich beiseite. Er ist verdrießlich und wütend.
«So, er liegt also im Sterben, der kleine Pint? Sag mal, was steckt eigentlich dahinter?»
«Ich glaube, er ist bei seiner reichen Pritsche», antworte ich ruhig.
« Was ? Du glaubst, er hat sie besucht?» Er scheint außer sich zu sein. «Sag mal, wo wohnt sie denn? Wie heißt sie?» Ich heuchle Unwissenheit. «Hör zu», sagt er, «du bist ein anständiger Kerl. Warum, zum Teufel, laßt ihr mich dieses Ding nicht mit euch drehen?»
Um ihn zu beruhigen, verspreche ich ihm schließlich, ihm alles zu erzählen, sobald ich von Carl die Einzelheiten erfahren habe. Ich kann es selbst kaum erwarten, Carl zu treffen.
Gegen Mittag des nächsten Tages klopfe ich an seine Tür. Er ist bereits aufgestanden und seift sich den Bart ein. Von seinem Gesicht läßt sich nicht das geringste ablesen. Ich kann nicht einmal sagen, ob er mir die Wahrheit erzählen wird. Die Sonne scheint durchs offene Fenster herein, die Vögel zwitschern, und doch sieht das Zimmer, ich weiß nicht warum, irgendwie dürftiger und armseliger aus denn je. Der Fußboden ist mit Seifenschaum bespritzt, und am Kleiderrechen hängen die zwei schmutzigen Handtücher, die nie gewechselt werden. Und irgendwie ist auch Carl nicht verändert, und das verdutzt mich mehr als alles andere.
Heute morgen müßte die ganze Welt verwandelt sein, zum Guten oder Schlechten, aber verwandelt, grundlegend verwandelt. Und doch, Carl steht da und seift sich das Gesicht ein, und nicht die geringste Einzelheit hat sich geändert.
«Setz dich … setz dich dort aufs Bett», sagt er. «Du hörst gleich alles … aber warte erst … warte ein bißchen.» Er beginnt wieder, sein Gesicht einzuseifen und dann sein Rasiermesser abzuziehen. Er macht sogar eine Bemerkung über das Wasser … wieder kein heißes Wasser!
«Hör mal, Carl, du spannst mich auf die Folter. Du kannst mich nachher quälen, wenn du willst, aber sag mir jetzt gleich das eine … war es gut oder schlecht?»
Er wendet sich, Rasierpinsel in der Hand, vom Spiegel weg und lächelt mich merkwürdig an. «Wart! Ich erzähle dir gleich alles …»
«Das heißt, daß es eine Enttäuschung war.»
«Nein», sagt er, seine Worte dehnend. «Es war keine Enttäuschung, und es war auch kein Erfolg … Nebenbei bemerkt, bist du für mich im Büro eingesprungen? Was hast du ihnen gesagt?»
Ich sehe, daß es keinen Zweck hat, es jetzt aus ihm herauszuquetschen. Wenn er soweit ist, wird er es mir erzählen. Nicht vorher. Ich lege mich still wie eine Muschel aufs Bett zurück. Er fährt fort, sich zu rasieren.
Plötzlich, ohne jeden Übergang, beginnt er zu berichten, zuerst zusammenhanglos und dann immer klarer und klarer, bewußt und entschieden. Es fällt ihm schwer, es herauszubekommen, aber er scheint entschlossen, alles zu erzählen. Er benimmt sich, als müsse er sein Gewissen erleichtern. Er ruft mir sogar den Blick ins Gedächtnis, den er mir zuwarf, als er den Aufzugschacht hinauffuhr. Er verweilt ausführlich dabei, so als wollte er durchblicken lassen, daß in diesem letzten Augenblick alles enthalten war und daß, wenn er die Macht besäße, die Dinge zu ändern, er nie den Fuß aus dem Lift gesetzt hätte.
Sie hatte einen Frisiermantel an, als er eintrat. Auf dem Toilettentisch stand ein Champagnerkübel. Das Zimmer war ziemlich dunkel und ihre Stimme angenehm. Er beschreibt mir das Zimmer bis in alle Einzelheiten, den Champagner, wie der garçon die Flasche öffnete, das Geräusch, das es
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