Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe
die dressierte Hunde auf Menschen hetzen, ist schon abenteuerlich genug, aber sie bewegt sich wenigstens noch in einem Rahmen, den ich verstandesmäßig akzeptieren kann.“
„Wie Sie meinen“, entgegnete Jonas. „Aber in jedem Fall haben wir es mit einer unkalkulierbaren Gefahr zu tun, und deshalb rate ich Ihnen dringend das Fest zu verschieben. Warum unnötig Menschenleben riskieren?“
Henn wedelte mit der Hand. „Was ist mit der Band?“ fragte er. „Soll ich die wieder nach Hause schicken? Und das Riesenbuffet mit meiner Frau alleine aufessen? Einige Gäste, die von weiter weg kommen, sind bereits unterwegs.“ Er schüttelte energisch den Kopf. „Nein. Das Fest ist wichtig. Es ist mir wichtig. Und ich habe einen Ruf als Law-and-Order-Mann zu verlieren. Man läßt sich nicht von Terroristen einschüchtern. Schon aus Prinzip nicht.“
„Manche Prinzipien können im Zweifel ziemlich ungesund sein“, bemerkte Jonas trocken.
Einen Moment blitzte es in Henns Augen wütend auf, dann zuckte er die Achseln und lächelte schmal. „Ich bin kein Feigling. Ich weiß, daß Sie mich für ein korruptes Arschloch halten, Faber. Vermutlich bin ich das auch. Aber ich bin nicht feige.“
Jonas war versucht, triefend vor Spott zu entgegnen: „Da bin ich ja mächtig beeindruckt.“ Doch er verkniff es sich.
Henn veränderte seine Haltung. Er richtete sich im Stuhl auf, lächelte routiniert und sagte in einem Tonfall, als sei eine Kamera auf ihn gerichtet und er spräche in Reportermikrofone: „Wissen Sie was? Es wird nichts passieren. Ich bin sicher, daß nichts passieren wird. Als Politiker bin ich es gewohnt, positiv zu denken. Es wird ein schönes, gelungenes Fest. Natürlich wird die Trauer um Jochen Honadel und Horst Lohmann die Stimmung ein wenig trüben. Aber es wird trotzdem ein gelungenes Fest werden. Ich habe ein gutes Gefühl.“
Jonas seufzte und stand auf. „Es ist Ihre Entscheidung“, sagte er, eher bitter als wütend. „Ich habe Sie jedenfalls gewarnt. Das Risiko liegt bei Ihnen.“
Henn blies eine blaue Rauchwolke in Jonas‘ Richtung. „Wenn man es genau betrachtet, ist doch das ganze Leben ein ziemliches Risiko, oder etwa nicht?“ „Ich bin Polizist, kein Philosoph“, erwiderte Jonas schroff. Und für Dummschwätzer wie dich müssen unsere jungen Bereitschaftspolizisten den Kopf hinhalten und ihr Leben riskieren, fügte er in Gedanken hinzu.
„Werden Sie und Ihre Männer heute abend auch Dienst tun?“ fragte Henn.
Jonas schüttelte den Kopf. „Kriminalrat Weyerbusch hat uns angewiesen, uns völlig aus der Sache herauszuhalten. Im Grunde habe ich mit meinem Besuch hier schon meine Kompetenzen überschritten.“
„Es ehrt Sie ja, daß Sie sich um unsere Sicherheit sorgen. Wissen Sie was, seien Sie doch heute abend privat mein Gast. Ich finde, der örtliche Polizeichef sollte anwesend sein. Und bringen Sie auch Frau Adrian mit. Ich möchte mich einmal mit ihr über die Wölfe unterhalten.“ Schon die Musik des platinblonden Beach Boys wäre ein guter Grund gewesen, die Einladung auszuschlagen, aber wenn Gablenz tatsächlich auftauchte, wollte Jonas an Ort und Stelle sein, daher sagte er zu, verabschiedete sich mit einem knappen Kopfnicken und ging zum Auto zurück. Während er Henns Garten durchquerte, der eigentlich schon mehr ein kleiner Park war, versuchte Jonas sich vorzustellen, wie das Wolfsrudel über die Mauer sprang und die Gäste anfiel. Es gelang ihm nicht. Der Gedanke war einfach zu bizarr. Kein Wunder, daß Henn diese Gefahr nicht ernst nahm.
FREEWAY begann mit dem Soundcheck. Die Musiker spielten ein paar Takte von Let it be , der abgehalfterte blonde Strandjunge sang dazu. Jonas verzog das Gesicht und verließ möglichst rasch Henns Garten. Während er zu seinem Wagen zurückging, überlegte er, ob er Chris auf das Fest mitnehmen sollte. Möglicherweise wurde es gefährlich. Andererseits mochte er sie auch nicht im Park allein lassen. Was Gablenz zu Chris gesagt hatte, beunruhigte ihn: Ich werde dich zu mir rufen, und dann wird sich deine Bestimmung erfüllen. Wie hatte er das gemeint? Chris würde unbedingt mitkommen wollen, und im Grunde war es ihm am liebsten, wenn sie in seiner Nähe war. Dann konnte er sie wenigstens beschützen, wenn es sein mußte auch gegen sonderbare Bärenwesen oder was auch immer...
Als er die Fahrertür aufschloß, ertappte er sich dabei, daß er über die Straße spähte und den Waldrand nach Wolfsaugen absuchte. Zu seiner Erleichterung
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