Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe
meinen Chef über Susannes Verdacht informiert, aber er meinte, das könne sich nur um eine Verwechslung handeln. Kettler habe, soweit er wisse, einen einwandfreien Ruf als hervorragender Antiterrorfachmann.“ „Aber du glaubst Susanne.“
Jonas nickte. „Susanne würde nie eine solche Behauptung aufstellen, ohne Beweise dafür zu haben.“
„Dann ist dieser Kettler für die Schüsse auf sie verantwortlich...“
„Und was hier abläuft, gefällt mir auch ganz und gar nicht. Ich habe mich ein bißchen umgeschaut. Die müßten doch eigentlich den ganzen Garten abriegeln, um die Wölfe gar nicht aufs Grundstück zu lassen. Aber sie haben ringsum nur ganz wenige Männer postiert, die anderen sitzen, Gewehr bei Fuß, draußen in den Mannschaftstransportern. Wozu? Worauf warten die? Wenn die Wölfe erst im Garten sind, ist es zu spät, um sie gezielt abzuschießen.“
Bei dem Wort „abschießen“ zuckte Chris unwillkürlich zusammen. Sie sträubte sich innerlich dagegen, daß die Wölfe getötet werden sollten, aber sie konnte auch Jonas‘ Standpunkt verstehen. Er wollte nicht, daß noch mehr Menschen starben.
„Was willst du unternehmen?“ fragte sie.
Jonas zuckte die Achseln. „Ich habe Henn darauf hingewiesen, daß Kettlers Leute meiner Meinung nach das Grundstück unzureichend sichern, aber er hat nur geantwortet, das seien Spezialisten, die würden ja wohl wissen, was sie tun. Ansonsten sind mir die Hände gebunden. Weyerbusch hat mir noch mal eingeschärft, daß ich mich dienstlich aus der Sache völlig raushalten soll.“
Chris hatte Kettler vorhin kurz gesehen, als er mit Henn gesprochen hatte. Man sollte nicht nach Äußerlichkeiten gehen, aber mit seinem groben, brutal wirkenden Gesicht fand sie ihn alles andere als vertrauenerweckend. Er war in Begleitung eines großen, hageren, grauhaarigen Mannes mit sehr harten, scharfgeschnittenen Gesichtszügen gewesen, der Henn gegenüber, wie Chris fand, sehr arrogant und herablassend aufgetreten war, ohne daß der Abgeordnete ihr deswegen besonders leid getan hätte. Außerdem hatte Jonas draußen auf der Straße jenen Geheimdienstmajor wiedererkannt, von dem die Leiche im Wald beschlagnahmt worden war.
Während sie hinüber zum Schwimmbecken gingen, um sich dort ein wenig hinzusetzen, hatte Chris plötzlich eine Vision, oder mehr einen gefühlsmäßigen Eindruck von den Wölfen, die am Waldrand zwischen den Bäumen standen und von dort das Fest beobachteten. Und sie spürte, daß das Bärenwesen ganz in der Nähe war. Es wartete draußen in der Dunkelheit. Chris faßte Jonas am Arm. „Sie ... sind ganz in der Nähe. Ich kann sie ... spüren“, flüsterte sie.
Angst stieg in ihr hoch. „Laß uns von hier verschwinden. Wir fahren zu mir in den Park, okay? Da machen wir die Rolläden zu und bleiben in meinem Zimmer bis ... bis alles vorbei ist. Komm, bitte!“
Jonas schaute sie fragend an. „Gut“, sagte er widerstrebend, „wenn du das wirklich willst, bringe ich dich nach Hause.“
Chris schüttelte den Kopf. Nein, sie wollte es ja gar nicht wirklich. Sie fürchtete sich nur auf einmal so. Sie atmete tief durch und zwang sich zur Ruhe. „Ich ... muß hierbleiben, das fühle ich“, sagte sie leise.
Sie suchten sich einen Platz am Schwimmbecken, von wo aus sie den ganzen Garten überblicken konnten. Jonas holte sich ein Bier und brachte Chris einen Orangensaft mit. Der Abend verstrich ohne besondere Zwischenfälle. Henn erschien, stellte ihnen Marion vor, seine zwanzigjährige Tochter, und verschwand zu Chris‘ Erleichterung gleich wieder. Marion entpuppte sich als recht nett. Sie plauderte angeregt mit ihr und Jonas und war überaus interessiert an Chris‘ Erlebnissen in Kanada. Marion gestand, von den Indianern und vom Schamanismus sehr fasziniert zu sein. Sie lese gerade die Bücher Castanedas. Als Marion von einem jungen Mann zum Tanzen aufgefordert wurde und mit ihm hinüber auf die Terrasse ging, war es bereits kurz nach Mitternacht. Dennoch war von den Gästen bislang kaum jemand gegangen, die Biertische und die Tanzfläche waren nach wie vor gut besetzt. Chris trank ihren Orangensaft aus und ließ den Blick schweifen.
Wieder kam Wind auf und wehte kühl und herbstlich durch den Garten.
Zwischen den Sträuchern drüben neben der Garage sah Chris einen Schatten, der sich langsam bewegte, einen tief am Boden geduckt in den Garten schleichenden Schatten. Im Erdgeschoß des Hauses ging ein Licht an. Der Lichtschein fiel über den Rasen
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