Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe
absurd ist. Wir sind eine seriöse Forschungseinrichtung. Der GENOTEC-Konzern ist ein international aktives Großunternehmen. Wir unterhalten beste Beziehungen zu den Regierungen aller Länder, in denen wir tätig sind. Natürlich mögen manche unserer Forschungsprojekte in den Augen der breiten Öffentlichkeit, nun, ein wenig problematisch erscheinen, so daß eine gewisse Geheimhaltung nötig ist. Aber ich versichere Ihnen, daß wir unsere Informationspolitik eng mit unseren Partnern in Bonn abstimmen. Da die breite Masse der Menschen in ihrem Denken immer etwas rückständig und emotional zu sein pflegt, muß man sie ganz allmählich an die neuen Möglichkeiten der Wissenschaft gewöhnen, um keine irrationalen Schockreaktionen auszulösen. Sie als intelligente Polizistin, deren Aufgabe es ist, für Ruhe und Ordnung einzutreten, werden das gewiß verstehen. Hier bei GENOTEC arbeitet die wissenschaftliche Elite. Wir sind die Vordenker für eine neue Zeit und genießen das volle Vertrauen aller staatlichen Stellen. In Sicherheitsfragen haben wir unsere Ansprechpartner unmittelbar in Bonn. Es ist völlig unnötig, daß die Kölner Kripo sich noch länger mit dieser Sache befaßt. Ich bin überzeugt, Sie werden schon bald entsprechende Anweisungen erhalten.“
Susanne war froh gewesen, aus diesem Tierversuchs-Hades wieder ins Tageslicht zurückzukehren, und hatte auf dem Parkplatz erst einmal eine beruhigende Zigarette geraucht.
Gablenz hatte recht behalten: Die „Ansprechpartner in Bonn“ besaßen ganz offensichtlich einen langen Arm, denn am nächsten Tag hatte das BKA sich eingeschaltet und Antweiler ihr den Fall entzogen.
Die Stimme des anonymen Anrufers ... Schlei. Schlei war während ihrer beiden Besuche bei GENOTEC vor einem Jahr auffallend nervös gewesen. Sie glaubte, seine dünne, schrille Stimme noch im Ohr zu haben, sah seine schlaffe, teigige Gestalt wieder vor sich. Der Klang einer Stimme war wie ein Fingerabdruck.
Vielleicht sollte sie Kriminalrat Antweiler über den anonymen Anruf und den verschwundenen Unfallbericht informieren, ehe sie etwas unternahm. Sie griff zum Telefonhörer, hielt einen Moment inne, schüttelte den Kopf und warf einen Blick in die Akte. Immerhin, Adresse und Telefonnummer befanden sich noch bei den Unterlagen.
GENOTEC Germany — Institut für biomediziniscbe Forschungen Köln
Susanne wählte die Nummer und ließ sich mit dem Vorzimmer des Wissenschaftlichen Direktors Professor Schlei verbinden. Die Sekretärin stellte den Anruf anstandslos durch.
„Ja. Schlei ...“Sie konnte ihn nervös schlucken hören.
„Kommissarin Wendland hier. Sie erinnern sich an mich, nehme ich an?“
Kurzes Schweigen, in das er schnaufend hineinatmete, dann: „Ja... natürlich. Was kann ich für Sie tun?“ Er war kein guter Schauspieler. Dieser schrille, nervöse Unterton entlarvte ihn. Kein Zweifel, er hatte sie angerufen.
„Wir haben einen ... anonymen Hinweis erhalten, daß Dr. Gablenz verschwunden ist. Stimmt das?“
Erneutes Schweigen. Schlei räusperte sich. „Nun, da kann ich Sie beruhigen. Das ist eindeutig eine Fehlinformation. Dr. Gablenz geht ganz normal seiner Arbeit nach.“
Sie konnte seine Nervosität hören. Vermutlich log er. Es klang wie eine Lüge. Okay, dachte sie, er hat dich angerufen, das weißt du jetzt, aber von seinem Büro aus wird er nicht reden wollen. Sie sagte, dann sei ja alles in Ordnung, und entschuldigte sich für die Störung.
Eine knappe halbe Stunde später rief Schlei wieder an und sagte, er wolle sich in fünfzehn Minuten mit ihr am Rheinufer treffen. Er beschrieb ihr die Stelle. Jetzt spätestens hätte sie Antweiler informieren müssen. Jedenfalls hätte Mallmann ihr gewiß dazu geraten - wenn sie ihn um Rat gefragt hätte. Sie eilte aus dem Büro, sprang in ihren Dienst-Opel und fuhr in Richtung Rhein. Wenn Antweiler schon wütend war, weil sie sich eigenmächtig wieder in den Fall eingeklinkt hatte, wollte sie ihm wenigstens ein paar interessante Neuigkeiten bieten können.
Auf dem grauen Flachdach eines klobigen, zehngeschossigen Ungetüms aus Stahlbeton und Glas, nicht weit vom Rhein entfernt, stand ein stämmiger, bullig wirkender Mann und schaute in den dunstigen Himmel. Aus der Straßenschlucht ein paar Meter hinter ihm drang Verkehrslärm herauf. Da er sein Jackett wegen der Schwüle offenbar im Büro gelassen hatte, sah man sein Schulterhalfter mit der Pistole. Sein Hemd zierten unter den Achselhöhlen dunkle
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