Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe
Nun, wie Sie meinen. Schlei gefällt mir übrigens gar nicht. Daß Gablenz ausgerastet ist und das Wolfsrudel befreit hat, scheint seinen Nerven den Rest zu geben. Fehlt uns noch, daß er zur Kölner Kripo oder gar zur Presse rennt. Na, jetzt ist er erst mal zum Onkel Doktor gefahren, um sich was für den Kreislauf verschreiben zu lassen.“
Roloff schüttelte den Kopf. „Ach was, Schlei ist eine Niete. Eine völlige Memme. Um uns zu hintergehen, hat er viel zu wenig Mumm. Hätte sein Busenfreund Gablenz ihn uns damals nicht aufs Auge gedrückt, säße er immer noch in seinem lächerlichen kleinen Institut in Aachen herum. Sollte Gablenz durch dieses Experiment völlig ausfallen, habe ich für Schlei sowieso keine Verwendung mehr. Schließlich sitzt Schlei nur auf diesem lächerlichen und überflüssigen Direktorenposten, um Gablenz bei Laune zu halten.“
„Aber Schlei weiß zu viel“, wandte Kettler ein.
Dr. Roloff, der seine Fassung rasch wiedergewonnen zu haben schien, winkte ab. „Dafür findet sich eine Lösung. Letztlich findet sich für alles eine Lösung.“
Sie gingen in den Aufzugsturm. „Sind der Staatssekretär und der General vom MSD schon eingetroffen?“
„Vor etwa zwanzig Minuten“, antwortete Kettler.
„Gut, daß Schlei beim Arzt ist“, sagte Roloff. „Seine
Anwesenheit bei den Direktoriumssitzungen wird zunehmend zum Ärgernis. Der Mann ist inzwischen ja ein einziger wandernder Nervenzusammenbruch. Sehr kontraproduktiv.“
Ihre Stimmen verhallten im Treppenhaus, während sie in der obersten Etage in den Lift stiegen und in den Tiefen des GENOTEC-Gebäudes verschwanden.
Schlei hockte in sich zusammengesunken auf der verabredeten Bank und schaute aufs Wasser, als Susanne, die länger als erwartet nach einem Parkplatz gesucht hatte, etwas atemlos eintraf und sich neben ihn setzte. Er sah noch genauso aus wie vor einem Jahr: teigig, schlaff, bleich und verschwitzt. Er starrte auf ein langsam vorbeigleitendes weißrotes Ausflugsschiff der Köln-Düsseldorfer Reederei, als wäre er am liebsten in den Rhein gesprungen und hinterhergeschwommen.
„Sie kommen spät, Frau Kommissarin“, sagte er. „Zum Glück ist mir niemand gefolgt. Sie glauben, ich wäre beim Arzt.“
„Wer: sie?“ fragte Susanne.
„Kettler und seine Leute.“
„Kettler? Ich erinnere mich, daß dieser Name voriges Jahr auch schon mal fiel. Ist dieser Herr bei GENOTEC für die Sicherheit zuständig?“
Schlei lachte bitter. „Kettler ist ein Killer.“
Susanne horchte auf. „Sie meinen, er hat damals Conrad...“
Plötzlich fing Schlei heftig an zu schluchzen. Sein schwerer Körper wurde regelrecht durchgeschüttelt. „Sie sind Verbrecher ... alle Verbrecher ... völlig skrupellos ... gehen über Leichen ...“ Der Mann schien völlig am Ende zu sein, aber er war Susanne so unsympathisch, daß sie kein Mitleid empfinden konnte. Mit zitternden Fingern zog er ein großes kariertes Taschentuch aus der Hose und schneuzte geräuschvoll hinein.
„Warum haben Sie mich denn nun herbestellt?“ fragte Susanne. „Die Ermittlungen sind mir damals entzogen worden. Wenn Sie mir keine stichhaltigen Informationen liefern können, bekomme ich unter Umständen großen Ärger, weil ich mich überhaupt mit Ihnen treffe.“
Schlei bemühte sich sichtlich, sein Schluchzen und Zittern in den Griff zu bekommen. „Zuerst einmal müssen Sie ... Gablenz finden. In seinem momentanen Zustand ist er eine Gefahr ... für sich und andere.“
„Er ist also tatsächlich verschwunden“, sagte Susanne.
„Er ist in der Eifel. Ich besitze dort im Itzwald in der Nähe des Ortes Buchfeld eine Jagdhütte. Dort hält er sich auf.“
„Was tut er da?“ fragte Susanne. „Und wieso ist er gefährlich?“
Schlei schneuzte sich wieder die Nase. Dann sagte er: „Er hat sich im Selbstversuch Megatonin injiziert.“
„Mein Gott! Dieses Zeug, durch das damals Conrad und Scholl...“
„Er war der Ansicht, er hätte die bei den beiden aufgetretenen Nebenwirkungen inzwischen eliminiert.“
„Ziemlich fatale Nebenwirkungen“, sagte Susanne grimmig.
„Nun, Sie kennen Gablenz. Er ist ein sehr rationaler und kontrollierter Mensch. Er neigt normalerweise überhaupt nicht zu chaotischen, unvernünftigen Verhaltensweisen. Doch jetzt hat er unter dem Einfluß von Megatonin ... Wölfe aus einem Gehege befreit und womöglich gar einen Menschen getötet. Einen Geheimdienstoffizier, der ihn beobachten sollte.“
Susanne schüttelte ungläubig
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