Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe
sie.
Jonas, der auf der Fahrerseite saß, klappte das Handy zu und sagte: „He! Ist nicht deine Schuld. Der alte Choleriker hatte vor ein paar Monaten einen schweren Herzinfarkt. Wäre er nicht sein ganzes Leben so ein herzloser Knochen gewesen, hätte er‘s jetzt sicher nicht am Herzen.“
Chris schneuzte sich die Nase. „Hast du einen Krankenwagen gerufen?“
„Rettungshubschrauber. Im Krankenwagen würde er auf der Piste hier zu sehr durchgeschüttelt. Hör mal: Ich fahre jetzt zu Henn und versuche ihn dazu zu bewegen, daß er das verdammte Gartenfest heute abend absagt. Ich meine, wenn es Gablenz um die Autobahn geht, beziehungsweise um die Leute, die dafür verantwortlich sind, gibt es doch keinen besseren Ort, um zuzuschlagen. Da werden sie alle versammelt sein.“
„Werden sie das Fest denn nicht sowieso abblasen, jetzt wo Honadel und Lohmann tot sind?“ fragte Chris. „Ha, da kennst du Henn schlecht!“ schnaubte Jonas. „Du hast ja Thönnes eben gehört. Sie glauben, daß es irgendwelche Ökoterroristen auf sie abgesehen haben. Henn hat gute Kontakte zum Innenministerium. Ich wette, er bekommt Bereitschaftspolizei zum Objektschutz bewilligt. Und dann werden sie da ganz trotzig feiern, nach dem Motto: Jetzt erst recht, wir lassen uns nicht einschüchtern!“
„Warum willst du dann überhaupt mit ihm reden?“
Jonas seufzte und zuckte die Achseln. „Ich will wenigstens einen Versuch machen. Gablenz kennt Henns Villa genau, er war ja schon mehrfach dort zu Besuch, und er ist voriges Jahr auch auf dem Gartenfest gewesen. Ich finde, die gehen ein ziemliches Risiko ein, wenn das Fest stattfindet. Was soll die Bereitschaftspolizei denn machen, wenn plötzlich neunzehn Wölfe aus der Dunkelheit auftauchen und in den Garten springen? Wenn sie auf die Tiere zu schießen versuchen, riskieren sie auch, die Gäste zu treffen. Und wenn Gablenz wirklich ... ich meine, wenn dieses Etwas , von dem Susanne erzählt hat...“
„Du meinst das Bärenwesen“, sagte Chris und wurde sich bewußt, daß ihr der Gedanke, Gablenz‘ Körper sei von einem übernatürlichen Wesen in Besitz genommen, inzwischen ganz selbstverständlich erschien. Zugleich erhielt die alltägliche Welt, die Chris rings um sich sah und spürte, dadurch etwas Irreales. Wenn Wesen aus dunklen nächtlichen Träumen in das normale Leben eindrangen, gab es nichts mehr, das sicheren Halt bot. Selbst der Erdboden unter den Füßen konnte sich dann von einer Sekunde zur anderen in den Leib einer riesigen erwachenden Schlange verwandeln, und alles, wonach die Hände griffen, konnte jederzeit zu Staub zerfallen oder sich in schillernden Nebel auflösen.
„Ich ... weiß nicht.“ Jonas strich sich durchs Haar. „Vielleicht ist es ja auch einfach nur eine Nebenwirkung dieser Droge. Jedenfalls kommuniziert Gablenz auf telepathische Weise mit den Wölfen, und wenn er telepathische Fähigkeiten besitzt, dürfte er bei allem, was er tut, uns Polizisten eine Nasenlänge voraus sein. Ich würde mir, an Henns Stelle, ernsthaft Sorgen um meine Halsschlagader machen.“
Chris holte den Lederbeutel hervor, nahm den Rosenquarz heraus und hielt ihn in der linken Hand. Sofort fühlte sie sich besser, ohne sagen zu können, warum. Fest, warm und mit der Jahrtausende überdauernden Zuverlässigkeit der Steine lag er in Chris‘ Handfläche. Vielleicht würde der Erdboden unter ihren Füßen doch noch ein wenig länger bereit sein, Chris zu tragen.
„Ich denke schon, daß Professor Schlei bei der Besprechung zugegen sein sollte“, sagte Staatssekretär Bernauer, ein untersetzter Endfünfziger mit Brille und Stirnglatze. „Immerhin ist er Wissenschaftlicher Direktor, und als solcher Mitglied der Institutsleitung. Außerdem gehört er dem Kuratorium an. Wir sollten ihn nicht übergehen. Der Minister möchte, daß alles auf geordnete Weise abgewickelt wird.“
Dr. Roloff seufzte. „Ich glaube nicht, daß Schlei zu dieser Unterredung etwas Sinnvolles beizutragen hat, aber gut, wie Sie wünschen.“ Er griff zum Telefon und tippte eine Kurzwahlnummer ein.
Sie saßen an einem großen, gläsernen Konferenztisch in schwarzen, mit chromglänzenden Armlehnen bewehrten Ledersesseln. Durch die getönten, nicht zu öffnenden Fenster sah man andere hohe Geschäftshäuser. An den dunkel getäfelten Wänden hingen moderne Gemälde, auf denen nüchterne, klare geometrische Formen dargestellt waren. Der Raum war klimatisiert und schallisoliert. Nichts vom Straßenlärm
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