Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
in der heiligen Krypta, und so dicht an der Tür zum Geheimen Gewölbe - das werde ich ihr natürlich nicht erzählen. Ich muss versuchen, ihr plausibel zu machen, dass wir einfach keinen Mord im Dom wollten, dass wir Josef deshalb in einer Panikreaktion nach draußen gebracht haben. Ob sie mir das abnimmt?
Er spürte, wie der Boden unter seinen Füßen weich wurde. Ich brauche einen Stuhl, dachte er. Die schreckliche Wunde an Josefs Kopf. Das kann niemals Martin gewesen sein. Aber wenn Ermekeil Recht hatte, wenn er diesen anonymen Anrufer nun doch erfunden hatte?
»Ist Ihnen nicht gut?«, fragte die Kommissarin. Ihre Stimme klang etwas sanfter.
»Ich ... muss mich einen Moment hinsetzen.«
Sie nahm ihn beim Arm und führte ihn zu einem Stuhl. Als er saß, fühlte er sich gleich besser. Er zog sein Taschentuch aus der Hose und wischte sich die Stirn ab.
»Im Moment habe ich keine weiteren Fragen«, sagte sie. »Die Gegenüberstellung kann ich Ihnen aber nicht ersparen.« Sie nickte ihrem Kollegen zu. Dann verabschiedeten sich die beiden knapp und gingen. Endlich war Scharenbroich mit Martin allein.
»Sie sind sehr blass, Domdechant«, sagte Martin, als die Polizisten die Bibliothekstür hinter sich geschlossen hatten.
»Du hast ihnen nichts erzählt über ...« Martin schüttelte den Kopf. »Nicht Ihnen zuliebe, sondern wegen Josef, das wissen Sie. Ihm habe ich versprochen zu schweigen.«
»Aber sie wissen jetzt über eure Beziehung Bescheid.«
Martin seufzte und betrachtete seine Hände, deren Finger lang und schlank waren. Als Scharenbroich irgendwann Josef sehr eindringlich gefragt hatte: »Warum? Warum dieser Junge und warum jetzt?«, hatte Josef gelächelt und geantwortet: »Ich weiß es nicht. Vielleicht wegen seiner schönen Hände und seiner großen, träumenden Augen.«
»Ich glaube, dieser Kommissarin entgeht nichts. Es schien mir besser, es ihr zu sagen. Die unsittliche Beziehung« - ein spöttisches Lächeln huschte über sein Gesicht - »zwischen Josef und mir ist doch Grund genug, Dinge zu vertuschen und geheim halten zu wollen. Vielleicht bohrt sie dann nicht in einer anderen Richtung nach. Sonst würde sie am Ende noch auf unser Geheimnis stoßen. Und das wollen Sie so wenig wie ich, nicht wahr?« Er sah Scharenbroich an. Große, dunkle Augen.
Scharenbroich wandte sich ab. »Martin, ich brauche das Buch. Und den Schlüssel«, sagte er, während sein Blick rastlos an den Bücherregalen entlangwanderte. »Angenommen, ich hätte sie ...«
Scharenbroich war mit seiner Geduld am Ende. »Also gut! Ich bin überzeugt, dass du sie hast. Entweder, du übergibst sie mir, oder ... oder ich sage der Polizei, dass ich dich verdächtige!«
Martin lachte bitter auf. »Sie wollen mir den Mord an Josef in die Schuhe schieben? Bestimmt möchte das ganze Domkapitel gerne, dass die Polizei mich für den Mörder hält. Dann würde endlich wieder Ruhe einkehren, nicht wahr?«
Scharenbroich versuchte das Zittern seiner Hände unter Kontrolle zu bekommen. »Sagen wir es so: Wenn du mir das Buch und die Schlüssel übergibst, tue ich, was ich kann, um dich zu entlasten.«
»Ein Geschäft also. Ein Geschäft von der Art wie damals, als Sie mich mit Josef verkuppelt haben.«
»Herr im Himmel!«, stöhnte Scharenbroich. »Wenn du ihn nicht umgebracht hast, kommt nur jemand von den weltlichen Mitgliedern der Geheimen Zunft in Frage. Wer sonst könnte es gewesen sein? Ich kenne diese weltlichen Mitglieder nur dem Namen nach. Um mehr herauszufinden, brauche ich das Buch!«
Martin sprang auf, ging mit raschen Schritten zum Fenster und starrte einen Moment schweigend nach draußen. Dann kam er zurück und blieb vor Scharenbroich stehen. Mit vor Erregung zitternder Stimme sagte er: »Ich glaube es ist das Beste, wenn ich das Buch verbrenne. Es enthält ein dunkles Geheimnis. Niemand sollte Zugang dazu haben. Aber vermutlich ist der bereits entstandene Schaden ohnehin nicht wieder gutzumachen. Josef und Schwester Hildegardis wollten versuchen, das Verhängnis noch aufzuhalten. Dafür haben sie mit dem Leben bezahlt.«
»Du gibst also zu, dass du das Buch hast!«, rief Scharenbroich. »Gib es mir, Junge! Wir finden bestimmt eine Lösung ... «
Er zögerte. Erst jetzt wurde ihm die Bedeutung von Martins letztem Satz klar. Mit weit aufgerissenen Augen sah er ihn an. »Kennst du etwa den Mörder?«
»Ich musste Josef schwören, über all das zu schweigen, und das werde ich auch tun«, sagte Martin. »Alles ist jetzt in
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