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Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Titel: Wendland & Adrian 03 - Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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war von Erschließungsmaßnahmen und Rodungen bedroht und immer wieder kam es zu gewaltsamen Übergriffen auf die Indianer. Sie taten mir sehr Leid und glaube mir, Mario, ich hatte ganz ernsthaft vor, damals in den Dschungel zu reisen und nach euch zu suchen, um Tula und dich zurück nach Belize City zu holen und mit euch als richtige Familie zusammenzuleben. Doch Tula schrieb mir in ihrem Brief unmissverständlich, dass sie keinen weiteren Kontakt zu mir wünschte. Sie habe ihr Versprechen eingelöst und mir die Fotos meines Sohnes geschickt. Aber ich solle euch in Ruhe lassen. Sie wolle kein Geld von mir und du solltest bei ihnen im Dschungel auf traditionelle Weise aufwachsen. ›Eure Welt, die ich in der Stadt gesehen habe, ist krank und verrückt. Das will ich dem Jungen ersparen‹. Danach habe ich von Tula nie wieder etwas gehört oder gesehen.
    Etwa ein Jahr später suchte mich ihre Kusine auf und erzählte mir, dass sich im Dschungel etwas Schreckliches ereignet hätte: Votans Balam-Sippe sei von weißen Söldnern überfallen worden, die die Indianer offenbar im Auftrag skrupelloser Geschäftsleute beseitigen sollten. Diese Geschäftemacher wollten sich das Gebiet der Indianer aneignen, um es für den Holzeinschlag und die Erdölförderung zu erschließen. Tulas Kusine berichtete weinend, dass außer deiner Mutter und dir keiner der Sippe dieses schreckliche Massaker überlebt habe. Ich glaube, dass dein Gedächtnisverlust bezüglich deiner Kindheit, den wir später bei dir feststellten, auf dieses traumatische Erlebnis zurückzuführen ist. Die Kusine sagte, Tula habe mit dir Zuflucht bei der Sippe ihres Onkels gefunden, doch ihre Gesundheit sei von dem Schrecken und den Entbehrungen sehr angegriffen. Ich gab Tulas Kusine Geld, denn ich merkte, dass sie auch deshalb gekommen war. Ihr Mann war Alkoholiker und sie wusste nicht, wie sie ihre fünf Kinder durchbringen sollte. Ich glaube, es hat sie sehr beschämt, und ich sah sie nicht wieder. Erneut spielte ich mit dem Gedanken, im Dschungel nach Tula und dir zu suchen, doch wieder unternahm ich nichts. Ich hatte mich gerade wieder einmal in eine neue Liebesaffäre gestürzt und meine Karriere entwickelte sich glänzend. Warum also sollte ich mir unnötig Schwierigkeiten einhandeln? Leider dachte ich damals so.
    Bis eines Tages ein Indianer, ein unsympathischer Bursche mit einem schiefen Grinsen und einem Mund voller Goldzähne, bei mir in der Europetrol-Niederlassung auftauchte. Er hatte einen Jungen von fünf Jahren bei sich, dich, Mario, und ließ sich von meiner Sekretärin nicht abwimmeln. Schließlieh führte sie euch zu mir. Der Indianer erklärte mir, er sei dein Onkel. Dein indianischer Name laute übersetzt Nachtauge ...«
    »Ist ja total irre!«, platzte Chris heraus. »Die Balam-Leute haben zu Jonas gesagt, dass du so heißt! Und dieser Indianer, der Jonas außer Gefecht gesetzt hat, wie auch immer er das geschafft haben mag, denn mein Jonas ist nicht so leicht außer Gefecht zu setzen - jedenfalls hat er komisch gegrinst und hatte viele Goldzähne!«
    Sie hielt sich entschuldigend die Hand vor den Mund. Dr. Jachzig blickte etwas vorwurfsvoll drein.
    Mario sprang erregt auf. »Dann war er der Mann! Ich erinnere mich überhaupt nicht an meine Zeit im Dschungel. Das liegt alles hinter dieser verdammten schwarzen Wand. Meine erste Erinnerung ist, dass ich von einem Mann, der eine dunklere Haut hatte als ich – meine Haut ist dunkler als eure, aber nicht so dunkel wie die eines richtigen Indianers – auf den Schultern getragen wurde. Ich weiß, dass er mir irgendwas ins Ohr gezischt hat, und es war, als hätte er mich damit ... aufgeweckt. Er hat mich auf seinen Schultern durch eine große Stadt getragen, in der mich alles erschreckte, die vielen Menschen, der Lärm, die Autos, die großen Häuser. Er sprach die ganze Zeit kein Wort mit mir, trug mich bis zu einem großen Haus mit vielen Fenstern. Wir sind hineingegangen, und da war dieser andere Mann. Sie unterhielten sich in einer Sprache, die ich damals noch nicht verstand. Es war wohl Englisch. Der andere Mann war wütend, aber schließlich ließ der Indianer mich einfach dort zurück, ohne ein Wort. Dann war der andere Mann Onkel Arne ... mein Vater. Aber er wollte nichts von mir wissen! Er hat mich gar nicht angesehen. Wahrscheinlich erinnere ich mich deshalb nicht an sein Gesicht. Er ragte nur groß und wütend über mir auf. Dann hat eine Frau sich um mich gekümmert. Das war wohl die

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