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Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Titel: Wendland & Adrian 03 - Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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Hause.
    Susanne wägte blitzschnell ihre Optionen ab. Sich zurückziehen, unverrichteter Dinge wieder an dem Windschutz hinunterklettern? Nein, sagte sie sich, er muss reden. Thürmann hielt den Speer abwehrend vorgestreckt in beiden Händen, nicht zum Werfen über die Schulter erhoben. Susanne seufzte und sprang vom Geländer hinunter auf den Balkon. Thürmann machte zwei, drei Schritte auf sie zu, die Speerspitze drohend auf Susannes Brust gerichtet, war aber immer noch ungefähr drei Meter weit weg. Mit schneller, gut geübter Bewegung zog sie ihre Waffe aus dem Schulterhalfter und entsicherte sie. »Okay. Wenn Sie näher kommen, schieße ich Ihnen in den Arm oder ins Bein. Das tut verdammt weh. Töten werde ich Sie nicht. Das überlasse ich dem Jaguar.«
    Er kam noch zwei Schritte näher. Er war bleich, unrasiert und in seinem Gesicht zuckten unkontrolliert die Muskeln. »Diese Speerspitzen sind enorm scharf«, sagte er heiser. »Sie gehen glatt durchs Fleisch und kommen auf der anderen Seite wieder heraus.«
    Susanne nahm die Pistole in beide Hände. »Kugeln auch. Hören Sie, bis es dunkel wird, sind es noch ein paar Stunden. Ich wette, ich bin mindestens so verrückt wie Sie. Ich bin imstande und schieße Ihnen eine Kugel in die Hand oder den Unterarm und wenn Sie dann immer noch nicht reden wollen, verpasse ich Ihnen noch eine Kugel. Ich kann Sie auch foltern. Ich weiß genau, auf welche Stellen ich einschlagen muss, mit der Hand oder mit dem Pistolengriff. Es macht mich wahnsinnig, dass ich nicht weiß, was damals in Belize passiert ist. Was glauben Sie, warum ich diesen Job mache? Weil ich normal und harmlos bin? Ich weiß, dass es eine dreckige Geschichte ist, aber ich will sie hören. Und wenn Sie sie mir nicht erzählen, richte ich Sie so übel zu, dass für den Jaguar nicht mehr viel übrig bleibt, wenn ich mit Ihnen fertig bin.«
    Endlich hatte sie den richtigen Ton getroffen. Bei Durchgeknallten kam es darauf an, die richtige Melodie zu finden, den Rhythmus des Irrsinns, der in ihnen tickte. Thürmann entspannte sich. Er grinste schief und warf den Speer seitwärts weg, wo er scheppernd auf dem Boden landete. Das war ziemlich lebensmüde. Ein nervenschwacherer Polizist hätte in diesem Moment vermutlich abgedrückt. Susanne erwiderte das Grinsen, sicherte ihre Waffe und steckte sie weg.
    Auf seinem Schreibtisch standen eine leere und eine volle Whiskyflasche und ein Glas. »Trinken Sie ein Schlückchen mit mir?«, fragte er. »Das Zeug ist gut.«
    »Mit Benzin löschen?« Susanne nickte. »Okay. Ich bin dabei.«
    Sie betrat sein Arbeitszimmer, tauchte ein in die Dschungelhölle aus Göttermasken, Giftpfeilen und Zauberstatuen.
    Er holte ein zweites Glas aus einer kleinen Zimmerbar, goss es voll bis zum Rand und reichte es ihr. »Setzen wir uns.«
    Auf dem Stuhl vor Thürmanns Schreibtisch lag ein Stapel abgegriffener archäologischer Zeitschriften. Susanne räumte den Stuhl leer und setzte sich. Dann trank sie das Glas in kleinen Schlucken aus, wobei sie die Augen schloss und es einfach geschehen ließ, dass das Feuer ihr die Kehle verbrannte. Eigentlich machte sie sich nichts aus Hochprozentigem, aber in diesem Fall gehörte es zur Vorstellung dazu. Als sie die Augen wieder öffnete, hatte er sich ebenfalls gesetzt und beobachtete sie fasziniert. »Sie sind eindeutig verrückt«, sagte er, »in meiner Gegenwart so lange die Augen zuzumachen. Ich hätte Ihnen das Balam-Jagdmesser, das da auf dem Schreibtisch liegt, in die Kehle rammen können.«
    Susanne spürte, dass damit das Eis zwischen ihnen endgültig gebrochen war. »Der Whisky ist gut. Erzählen Sie mir, was damals in Belize passiert ist. Felten behauptet in seinem ersten Testament, der Schädel sei ihm geschenkt worden. In einem Nachtrag hat er dann zugegeben ihn gestohlen zu haben.«
    Thürmann hob die Flasche, Susanne hielt ihr Glas hin und er schenkte ihr erneut voll ein. Er füllte sein eigenes Glas und warf die leere Flasche in den Papierkorb. »Felten war immer schon ein verlogenes, gieriges Arschloch. Ich vermute, als Polizistin sind Sie mit dem Phänomen der Gier gut vertraut. Die meisten Verbrechen haben etwas mit Gier zu tun und wir waren alle verdammt gierig.«
    »Sie wollten den Schädel?«
    »Die Kristallschädel waren damals in einschlägigen Kreisen in Mode gekommen, nachdem die Labortests, die Ende der siebziger Jahre mit einem von ihnen durchgeführt worden waren, so erstaunliche Resultate erbracht hatten. Überhaupt war die

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