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Weniger sind mehr

Titel: Weniger sind mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Otto Hondrich
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Was sie den eigenen Eltern noch an Sorgen, Pflege, Liebe und relativer Jugend geben, können sie von niemandem zurückerwarten – nur den Rest, den man als »Ware« Pflege kaufen kann. Die kinderlosen Alten sind also ganz auf die Kinder von anderen angewiesen. Und dies sind immer mehr: Kinder aus anderen Kulturen. Die Alten ohne Kinder wandeln auf dem Grat zwischen Vereinsamung und Kommerzialisierung ihrer letzten Lebensbezüge. Dies ist ein hoher Preis für die Entlastung der mittleren Jahre. Entlastung enthält den doppelten Verlust einer eigenen familialen Lebensmitte und eines von eigenen Nachkommen zumindest emotional mitgetragenen Alters.
    So weit, so schlecht. Wer wollte bestreiten, dass es, schlicht gesagt, schöner ist, im Alter Kinder und Enkel zu haben als keine? Und doch leiden die logischen und soziologischen Ableitungen, |226| die zu dem Ergebnis »Alter und Kinderlosigkeit ergeben Unglück« führen, an ihren eigenen Vorurteilen und Verkürzungen. Sie unterschätzen die Rolle der Individualität, mit deren Hilfe ältere Menschen sich selbst durch das Problem der Kinderlosigkeit hindurchsteuern können. Und sie unterschätzen andererseits die Grenzen, die dem individuellen Glück der älter Werdenden gesetzt sind, selbst wenn sie mehrere Kinder haben.
    Beginnen wir mit den Grenzen. Niemand hat meines Wissens je untersucht, wie viel selbstempfundenes Scheitern und Enttäuschtwerden im Elternleben verborgen sind und wie die Enttäuschungen möglicherweise noch anwachsen, wenn Eltern älter werden. Wenn Kinder den Anforderungen der modernen Schul- und Berufswelt nicht entsprechen, wenn sie krank, süchtig, in Liebe und Ehe unglücklich, lebensuntüchtig sind, bedeuten sie für ihre alten Eltern weder Freude noch Unterstützung, sondern eher eine zusätzliche seelische und finanzielle Belastung. Aber auch wenn die Beziehungen zwischen den Generationen sich relativ »normal« gestalten: Wird das individuelle Glück des Kinderhabens im hohen Alter nicht relativiert dadurch, dass erwachsene Kinder, wenn sie verheiratet sind, als Doppelverdiener im Beruf und als Manager einer eigenen Familie bereits voll ausgelastet, ja überlastet sind und die alten Eltern, oft gegen deren Widerstreben, in Alters- und Pflegeheimen unterbringen müssen? Die Enttäuschung der Alten ist oft gerade dann besonders groß, wenn sie darauf gehofft hatten, von ihren Kindern alltäglich ver- und umsorgt zu werden. Der Unterschied des Glücks zwischen alten Menschen mit und ohne Kinder verschwindet oft, wenn sie nebeneinander in demselben Heim untergebracht und von demselben bezahlten Pflegepersonal betreut werden. Ja, es kann sogar sein, dass die Kinderlosen öfter Besuch und Zuwendung von außen bekommen, sofern sie entsprechend vorgesorgt und vorgebaut haben.
    Denn in die Kinderlosigkeit fällt man ja nicht von einem Tag zum anderen. Man wächst jahrzehntelang in sie hinein. Sie wird eine Karriere. Und wie jede andere Karriere ist sie individuell gestaltbar |227| . In ihren Stärken lässt sie sich ausbauen, an ihren Schwachstellen verstärken, ihre Lücken lassen sich füllen. Die kinderlosen Alten sind darauf besser vorbereitet als diejenigen, die Kinder haben. Kinderlose brauchen »nur« die Glücksstrategien fortzusetzen, auf die sie ihr Lebtag angewiesen waren. Menschen mit Kindern
können
Kontakte zur weiteren Verwandtschaft halten, Freunde finden, am Vereinsleben teilnehmen, Reisebekanntschaften suchen, Kolleginnen und Kollegen einladen – Menschen ohne Kinder
müssen
es, sofern sie nicht nach eigenen Bedürfnissen für sich allein leben wollen.
    Vielen wird es schwerfallen, durch eigenes Vorpreschen, Vorleisten, Entgegenkommen und Helfen ein Netzwerk aufzubauen und zu erneuern, das sie auch im Alter hält. Andere dagegen finden gerade durch die Eigengestaltung ihrer sozialen Kreise eine besondere Erfüllung. Früh genug halten sie sich, mangels eigener Kinder, an Neffen und Nichten oder Kinder aus dem weiteren Verwandtenkreis. Manchmal schließen sie sich Freundesfamilien an. Manchmal gründen sie mit Freunden, Gleichgesinnten, Nachbarn, ob mit und ohne Kinder, selbst Quasi-Familien oder Zweckgemeinschaften: zum gemeinsamen Wohnen, zur Freizeitgestaltung, zur Hilfe für noch Ältere, zur Unterstützung von Kindern aus sozial schwachen und Migrantenfamilien. Immer öfter, wenn auch insgesamt noch selten, erfährt man in Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehsendungen von solchen Zweckgemeinschaften, die auch

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