Wenn auch nur fuer einen Tag
schmelzen wie ein Stück Schokolade in der Sonne, als ich wieder seine Lippen auf meinen spüre und seine warme Zunge, die nach meiner sucht. Wie ineinander versunken stehen wir mitten auf dem Gehweg und lösen uns erst wieder voneinander, als uns eine aufgeregte Stimme neben uns aus unserer zweisamen Welt reißt.
Eine Frau, schätzungsweise Ende dreißig, mit Tüten und Taschen beladen, quatscht auf Italienisch sämtliche Passanten an. Sie wirkt vollkommen aufgelöst und scheint die Leute um Hilfe zu bitten, aber jeder, den sie anspricht, schüttelt nur bedauernd den Kopf und läuft weiter.
Als sie uns erspäht, kommt sie sofort angestürmt, begleitet von einem Redeschwall. Ich versuche angestrengt, den Worten der Frau zu folgen, aber sie verschluckt die Hälfte der Silben und redet in ihrer Aufregung so schnell, dass ich kaum etwas verstehe. Ab und zu schnieft sie und wischt sich Tränen aus dem Gesicht.
»Ich glaube, es geht um ihren kleinen Sohn«, sage ich zu Lukas, »aber sicher bin ich mir nicht.«
»Scusi« , sage ich an die Frau gewandt, »parlo un po’ italiano, ma …«
Die Frau unterbricht mich mit einem euphorischen »Madonna!« Dann lässt sie ihre Taschen fallen und schlägt mit einem erleichterten Schluchzen die Hände über dem Kopf zusammen, bevor sie auch schon wieder wie ein Wasserfall auf mich einquatscht. Ich verstehe nichts außer »figlio« und »perso« , woraus ich mir zusammenreime, dass sie ihren kleinen Sohn verloren haben muss.
»Oh Mann, ich wollte ihr eigentlich nur sagen, dass sie langsamer und deutlicher sprechen soll, damit ich etwas mitkomme«, jammere ich. »Aber sie lässt mich ja nicht aussprechen.«
Lukas steht hilflos neben mir. Ab und zu versucht er, der Frau beruhigend eine Hand auf den Arm zu legen, aber sie ist nur auf mich fixiert, weil sie anscheinend annimmt, ich würde sie verstehen.
»Sie müssen zur Polizei gehen«, sage ich auf Italienisch, als die Frau einmal Pause macht, um Luft zu holen. »Ich erkläre Ihnen den Weg, in Ordnung?« Ich bin noch dabei, mir im Kopf die einfachste Route zurechtlegen, da macht Lukas einen Schritt auf die Frau zu, die am ganzen Körper zittert und weiterhin die Hände ringt.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Signora«, sagt er klar und deutlich in perfektem Italienisch und die Frau starrt ihn vollkommen perplex an – genauso wie ich. »Ich glaube, ich habe Ihren Sohn gesehen. Hat er ein Spielzeugschiff bei sich und trägt Jeans und ein Fußballtrikot vom AC Mailand?«
Die Frau nickt aufgeregt. »Sì, sì« , kreischt sie und schnappt sich dankbar Lukas’ Hand. Sie krallt sich daran fest, als wäre sie selbst ein kleines Kind, das endlich seine Mama wiedergefunden hat und sie nie wieder weglassen will.
»Dann weiß ich, wo er ist«, erklärt Lukas. »Auf jeden Fall war er noch vor zwei Stunden dort. Es ging ihm gut, er spielte mit ein paar anderen Jungs am Wasser. Kommen Sie mit, ich bringe Sie zu der Stelle.«
Noch immer vollkommen verdattert helfe ich der Frau, ihre Taschen und Tüten aufzuheben, und laufe wie in Trance hinter ihr und Lukas her Richtung Binnenalster. Ich kann nicht fassen, wie perfekt Lukas’ Italienisch ist. Ich meine wirklich perfekt, sodass zumindest ich keinen Unterschied zu einem waschechten Italiener heraushören konnte. Plötzlich spüre ich einen Anflug von Groll. Nicht, weil er so toll Italienisch spricht, sondern weil er mir nichts davon erzählt hat. Als er kürzlich nebenbei bemerkte, er hätte in der Schule Italienischkurse besucht, hatte ich angenommen, er beherrsche die Grundlagen und könne sich im Urlaub einen Cappuccino oder eine Pizza bestellen. Aber so, wie er drauflosquatscht, muss er das Gespräch zwischen Vanessa und Massimo im Secondhandladen ja komplett verstanden haben, genau wie den Film in Tozzis Seminar.
Als wir das Ufer erreicht haben, lässt die Frau ihre Einkäufe plötzlich fallen und stürzt freudestrahlend auf einen kleinen Jungen zu, der völlig verschmutzt über das ganze Gesicht strahlt und ein Segelboot in der Hand hält. Ich stelle die anderen Tüten ebenfalls ab und blicke Lukas herausfordernd an.
»Tja, das ging ja noch mal gut«, murmelt er und kratzt sich verlegen am Kopf.
»Kann man wohl sagen.« Ich bemühe mich gar nicht erst, meinen leicht unterkühlten Ton zu verbergen. »Ich frage mich allerdings, warum du dir überlegst, Italienisch zu studieren, wenn du es sowieso schon perfekt beherrschst.«
Über Lukas’ Gesicht huscht ein Schatten, aber er
Weitere Kostenlose Bücher