Wenn das der Führer wüßte
Gehirngewicht 1020 Gramm – hat der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda angeordnet, daß die tägliche Früh-Ringsendung ‚Deutscher Glaube’ um 6.30 Uhr MEZ ab sofort nicht mehr mit Tamtamtamtam, sondern nur mit Tamtam eingeleitet wird – – – bei einem Elternappell auf der Adolf-Bartels-Schulungsburg betonte der Landesoldermann des ‚Dithmarschen Geschlechterbundes’ in Wesselburen, Parteigenosse Karl-Dankwart Gokeis, daß – zum Nutzen und Frommen der Nation – das völkische Leitbild – unser Landsmann und Ehrenbürger – was dieser kerndeutsche Mann für seine Heimat getan – und nun, liebe Volksgenossen und Volksgenossinnen, die größte Kanone unsres heutigen WM-Konzerts: Sex Söguthätt mit dem gewissen nordischen Etwas, der besondere Liebling unsrer RAK-Waffe [Tosender Beifall], singt ihren großen Schlager ‚Ich bin ne Schwule aus Thule’ [Tosender Beifall] – – – de sik’t woll leisten kann – hoch noch mol – schlank hendol – hoch in den Wind – de Deern een Kind – de Amm’n twee – sünd dat nich dree? – hoch noch mol – schlank hendol – hoch in de Kapp – hew hoch un sett – hoch op den Block – den Pohl op’n Kopp – hoch noch mol – schlank hendol – hoch in de Runne – – – keine Sorje, wer Prikrix sagt und ann jewöhnliches Fleckputzmittel denkt, liegt natürlich falsch – – – hat vor zwei Jahren den großen Skaldenpreis der Nation –“
Noch immer keine Meldungen über die Bombentreffer. (War auch wurscht.) Die meisten Sender schienen intakt zu sein, ihre Programme unterschieden sich in nichts von den üblichen. Zum Hinwerden war das, wenn man die endlose graue Kolonne der Flüchtenden vor sich hatte!
Doch da vorn stockte der Verkehr, die Wagen mußten Schritt fahren. In milchigen Licht abgeblendeter Scheinwerfer – es war inzwischen Nacht geworden, und der Schnee wirbelte aus einem böigen Himmel – konnte man sehen, daß rund um ein Bauwerk, das sich beim Näherkommen als langgestrecktes, ebenerdiges Rasthaus im Normstil eines hochgiebeligen Bauerngehöfts entpuppte, viele Wagen geparkt waren. Einige NSKK-Leute – hier jedenfalls war der Werwolf noch nicht eingesetzt – liefen fuchtelnd hin und her, um den Stau aufzulockern und die Fahrbahn freizuhalten. Die Leute hatten ihre Waffen parat: Laser. Trotz dieser Drohung wurde laut geschimpft. „Scheißbande, dreckige!“ hörte Höllriegl. Und: „Bundschuh erwache, Köpfler verrecke!“ Das war die Höhe! Wenn da nicht durchgegriffen wurde, dann … Die meisten Flüchtlinge fuhren langsam und schweigend weiter.
„Ein Labenat“, sagte Axel.
„Hast du Hunger?“ Höllriegl war selber hungrig wie ein Wolf, seit dem frühen Morgen hatte er nichts gegessen. Nur schien es mehr als zweifelhaft, daß hier überhaupt was zu bekommen war. Aus dem Wirtshaus dröhnten Lachsalven, und trotz der luftschutzgemäßen Lichtabdichtung konnte man sehen, daß alle Räume erleuchtet waren.
„Ja – aber die Antjocharde!“ Axel deutete auf die Uniformierten, die ihre dunkelblauen Lichter schwenkten.
„Keine Angst. Ich versuche zu parken.“
Hinter der Garage fand sich eine Lücke in dem Wagenchaos. Ein Straßenkreuzer folgte zögernd, und ihm entquollen fünf bis zur Unkenntlichkeit vermummte Gestalten, vielleicht zwei Männer und drei Frauen. Man betrat gemeinsam das Lokal.
Drinnen, in sämtlichen Stuben der weitläufigen Wirtschaft, war eine Freß- und Sauforgie im Gang. An den Tischen saßen dichtgedrängt Männer und Weiber, da und dort hatte auch ein Mann eine Frau auf dem Schoß. Kinder liefen schreiend umher. Aus Kannen und Zubern, die reihum gingen, wurde getrunken, es roch nach Wein und nach Schnaps. Von Wirtsleuten oder Bedienung keine Spur. Augenscheinlich hatten die Flüchtlinge den Keller des verlassenen Rasthauses geplündert und ihre Verpflegung selbst in die Hand genommen.
Der Lärm war ohrenbetäubend, die qualmige Luft zum Schneiden. Die meisten der „Gäste“ hatten schon vollgeladen, unentwegt wurde geprostet, gegrölt und geschunkelt. Als Höllriegl und Axel sich durch das Gedränge in der großen Wirtsstube einen Weg bahnten, krachte gerade eine Sitzbank zusammen. Die Schunkelnden wälzten sich unter Gelächter und Gekreisch auf dem Boden, wobei es zu recht eindeutigen Posen kam. Höllriegl zog Axel fort, er bereute, hier angehalten zu haben.
Doch er kam nicht zum Überlegen, es war zu spät. Schon wurden sie umringt, umschlungen, abgeschmatzt, waren
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