Wenn das der Führer wüßte
eingekeilt, man zog sie gewaltsam auf eine Bank nieder – zwei Damen hatten, um Platz zu machen, sich auf den Tisch geschwungen und reckten die strampelnden Beine in die Höhe. Gläser fielen um, der Wein ergoß sich auf die Tischplatte. Höllriegl wurde von einem Mann mit schlagflüssiger Visage festgehalten, dessen Gegenüber, eine verwüstet aussehende, elegante Matrone, hielt ihm den Krug an den Mund, und ungeachtet seines Protests – niemand konnte in dem Getöse seine Beteuerungen hören, er sei ebenso wie der Führer abstinent – mußte er wieder und wieder trinken. Der Wein lief ihm über den Uniformmantel. Nicht besser erging es Axel, auf den sich ein paar schmuckbehangene Weiber gestürzt hatten.
Höllriegl schrie seinen Nachbarn zu: „Wir haben Hunger!“ Sogleich gab man ihnen Wurst, Quark, kaltes Geflügel und Pimse. Axel, der in sich zusammengesunken, bleich und verstört dasaß, wurde von seinen Nachbarinnen, zwei korpulenten, nicht unhübschen Blondinen, wie ein Kind gefüttert – ein Cherub unter Dämonen. Auch er mußte zwischendurch trinken; unter Gelächter wurde er dazu genötigt, weil gütliches Zureden nichts nützte. Abwehrend hob er die Hände und beteuerte, er habe stets Meidnis geübt, vertrage kein Brannat und trinke nur Meugilm und Milch, was die Dame gegenüber veranlaßte, eine ihrer dicken Brüste herauszunehmen und sie ihm unter die Nase zu halten. „Iß, iß!“ rief ihm Höllriegl über den Tisch zu. Er sah, daß die Unholdinnen „seinen“ Jungen mit gierigen Blicken musterten, ihre Hände waren unter dem Tisch beschäftigt. Vielleicht war Axel so klug – doch es war unwahrscheinlich –, das Trinken nur vorzutäuschen. Nicht einmal ihm selber gelang dies, denn die Kumpanei hatte sein Widerstreben gemerkt und paßte scharf auf. Obwohl er mit vollen Backen kaute, flößte man ihm johlend, schmatzend und küssend – der alkoholische Atem seiner Nachbarn war magenhebend – das saure Gesöff ein, das ihn anwiderte.
Trotz der animalischen Wärme in den Stuben hatten die Leute ihre Pelze umbehalten oder saßen auf ihnen. Höllriegl erinnerte sich, daß Pelze gegen Radioaktivität schützen sollten. Als letzten Schrei gab es auch Edelpelze, die zusätzlich ein Futter aus elastischen Schutzwerkstoffen – Element Bor und bestimmte Kunstfasern – zum Einknöpfeln besaßen. Solche Mäntel, so wurde in der Werbung betont, böten sogar gegen die Strahlen der Neutronenbombe Schutz (was sicher Blödsinn war), und Höllriegl fiel der reichsbekannte Lockspruch der Firma Büddecke ein: „Hüllest den Leib du so wonniglich / Maid, in des Fenrewolfs Fellen / Bannst du die Strahlen – doch Büddecke / Nimmer schützt vor der Minne Loh“ (Werbung nach Art der altnordischen Spruchdichtung war große Mode).
Hier im Lokal schien jedenfalls eine leibhaftige Pelzmodenschau stattzufinden – wohin man sah, nichts als Pelze. Manche so kostbar, daß sie bei ihren Trägern und Trägerinnen fette Bankkonten vermuten ließen. Nerz, Zobel, Nutria, Chinchilla, Tiger, Schneeleopard, Ozelot, Seehund, Platinfuchs bis herab zu Springbock, Luchs, Skunks und Fohlen.
Eine Hexe mit blau gefärbten Löckchen, Gesichtslift, künstlichen Wimpern, blitzenden falschen Zähnen und imposantem Hängebusen wurde mit vereinten Kräften auf den Tisch gehievt, wobei ihr der Hermelin von den Schultern rutschte und zu Boden fiel. Sie hielt eine im Lärm unverständliche Ansprache, hob die Röcke hoch, um ihre auffallend schlanken, mit Krampfadern verzierten Beine bis zur Trikothose sehen zu lassen. Man prostete der Alten zu, begoß ihren Hintern mit Wein und riß sie in die Tiefe zurück. Schon aber kletterte wieder ein Mann auf einen Stuhl und bot eine pöbelhafte „Biermimik“ dar. Das Ganze, so kam es Höllriegl vor, hatte gar nichts Fröhliches, sondern war mehr wie eine falsche, gekünstelte Betäubung.
Der Blaurote zu Höllriegls Rechten, von seiner lallenden Gesponsin mit Eitel-Friedrich angeredet (ein Keksfabrikant, wie sich herausstellte), stand plötzlich auf und rief mit schwerer Zunge: „Ich leere meine Blase auf das Wohl der Damen!“ Sprachs und verschwand torkelnd im Gewühl. Seine Partnerin rückte zu Höllriegl heran und legte einen Arm um ihn. „Eitel-Friedrich“, sagte sie, „ist mein Göttergatte – ein Armloch, aber ewwen mein Mann!“ Einer von der Tischgesellschaft, der aus seinem Hosenschlitz eine Knackwurst baumeln ließ, beugte sich über sie – und die Keksfabrikantensgattin, nicht
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