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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
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weiter.
    Endlich fand er einen weißhaarigen Bullen im Strahlenschutzanzug, der an seinem Schreibtisch döste. Dem erklärte er, wie er das Flugblatt gefunden hatte.
    „Jawoll, das kennen wir doch“, mummelte der Mann, er war zahnlos. „Lassen Sie mal sehen. Jeden Tag kommen Volksgenossen und bringen solches Zeug. Wir können die vielen Anzeigen gar nicht mehr bearbeiten – ist auch halb so wichtich. Wichticher ist, daß wir alle Leibeigenen einfangen, die auf und davon sind. Meine Amtskollegen, die jüngeren, sind hinter ihnen her – um die Polente zu entlasten. Da ist jetzt allerlei zu tun. Bin schon lang im Ruhegenuß gewesen, da holten sie mich wieder. Mein Wohnort ist Hasselfelde, ich mache hier aushilfsweise Journaldienst. Die andern sind alle fort. – Waren Sie heut nacht dabei? Dolle Sache! Nein? Da haben Sie viel versäumt. Der Zirkus erinnerte mich an die schönsten Zeiten im Generalguvernemang anno vierzich, als ich noch beim SD war …“
    Höllriegl ließ den Bullen weiterschwätzen, der nun erst richtig in Fahrt kam. Die Reparaturwerkstätte würde er auch so finden.
    In den schmalen, nebligen Gassen drückten sich dann und wann Einheimische scheu am Wagen vorbei. Am Hauptplatz waren alle Läden geschlossen gewesen, hier aber sah er Geschäfte, die bei halb herabgelassenen Rollbalken offenhielten. Frauen hatten sich in langen Schlangen angestellt, und die strahlenschutzartig vermummte Ortspolizei patrouillierte mit umgehängten MP (Laser-Waffen sah man in der Provinz selten) in Dreiergruppen. Schlagartig waren sämtliche VGN-Ia, also die lebenswichtigsten Verbrauchsgüter der Nation, kriegsgemäß rationiert worden. Das klappte vorzüglich, denn in den letzten Jahren hatte es zu Übungs- und Ertüchtigungszwecken immer wieder Notstandsaufgebote im Rahmen des allgemeinen nationalen „Zuteils“ gegeben, das heißt blitzartig durchgeführte Rationierungsmaßnahmen, die oft wochenlang in Kraft blieben. Jedes dieser Aufgebote besaß einen eigenen Namen; das letzte hatte „Landgraf, werde hart!“ geheißen.
    Für den Sonderfall eines plötzlichen Kriegseinsatzes trug Höllriegl stets eine Verpflegskarte IIb bei sich – Kummernuß hatte ihn aus der Verbrauchergruppe lila in die nächstbessere hinaufschwindeln können. Ein solcher Sonderfall war jetzt gegeben. Nur fragte er sich, ob man auf die Karte irgendwo irgendwas bekam, siehe sein Erlebnis in der Pension. Es war übrigens Herr Südekum gewesen, der ihm erklärt hatte, die Lebensmittelverteilung im ganzen Reich geschähe auf dem Luftweg und wäre mittels Denkmaschinen so durchgeplant, daß, selbst wenn sehr weite Landstriche, aber auch große Städte durch völlige Verwüstung ausfielen, die Versorgung der nahezu 90 Millionen Volksgenossen eisern klappen müßte. Das ständige Dröhnen in der Luft rühre daher keineswegs von Geschwadern her, die auf Feindkurs gingen, sondern von Transportern der Stratoklasse in pausenlosem VGN-Einsatz. Schon am Montag war die gesamte zivile Luftfahrt des Reiches in den VGN-Notstand eingegliedert worden.
    Höllriegl fuhr im Schritt an Häusern in malerischem Fachwerkbau vorbei. Überall waren die sattsam bekannten Lebensmittelaufrufplakate angeschlagen, aber auch Aufschriften gab es wie „Strahlengeschütztes Gemüse“ oder „Strahlensichere Backwaren“ – alle Notstandsverpackungsvorschriften waren automatisch in Kraft getreten. Das Reich holte sich sein tägliches Brot aus Tiefbunkern und unterirdischen Lagerhäusern, die so groß wie Dörfer sein sollten. So tief drang keine Strahlung, und die Lebensmittel lagerten dort seit Jahren, längst „atomar“ verpackt und für den Ernstfall gehortet. Erhebend! Heil!
    Der Besitzer jener Autoreparaturwerkstätte, die ihm empfohlen worden war, Schicketanz hieß er, wohnte am Ortsende, und An der Pfordten war eine der Ausfallsstraßen von Sauckelruh nach Nordosten. Höllriegl holte den Mann unter einem Lkw hervor, an dem er mit einem Scharwerker, verdächtig ostischer Typ übrigens, arbeitete; so als wäre kein Atomkrieg, als hätte das Reich in der vergangenen Nacht nicht eins abbekommen. Höllriegl gab dem Vorfall mit dem Radio einen harmlosen Anstrich – man konnte nie wissen. Die Reparatur wäre keine große Sache. Und der Wagen würde heute abend, spätestens morgen früh bestimmt geholt.
    „Gibts was Neues?“
    „Nur Übles“, sagte Volksgenosse Schicketanz und wischte sich den Schweiß von der blauroten Stirn. „Einige Atomraketen sind zwar beim Anflug

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