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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
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unschädlich gemacht worden – doch was wird die nächste Stunde bringen? Wir gehn gar nicht mehr in den Keller, hat ja so keinen Zweck, strahlenverseucht sind wir schon. Aber Köpfler wird es schaffen, wies auch der Adolf geschafft hat. Die Japse kriegen Haue, daß sie Knochen kotzen – klaar, Mensch. Nun müssen Sie mich aber entschuldigen, ich bin mittenmang in der Arbeit. Zum Professor haben Sie den Abschneider da drüben. Sind schon ne Menge Leute vorbeigekommen. Einen Fahrweg gibt es auch.“
    Höllriegl setzte sich in Marsch, es fror ihn in der kalten Nebelluft. Er spürte die Übernächtigkeit in allen Gliedern, auch hatte ihn das Mädchen hergenommen. (Angurboda – komischer Name.) Die Aktenmappe unterm Arm, griff er tüchtig aus und verlangsamte seine Schritte erst, als der Weg steil anstieg. Durch den hochstämmigen Fichtenwald wallte Nebel und hing sich in Fetzen an die Äste. Höllriegl dachte nach – wie hatte sein Lehrer in der Volksschule gesagt? Das sogenannte Brockengespenst ist eine Nebelwand, auf die bei besonderen Lichtverhältnissen Schattenbilder geworfen werden …
    Der Weg schlängelte sich um bemooste Granittrümmer, und Höllriegl bekam Lust, die Gegend von oben zu betrachten. Rasch erkletterte er einen der Findlinge. Die Sicht war stark behindert, man konnte nur ein paar Schritte weit sehen, aber der Anblick der schlanken und doch mächtigen Stämme, die aus der nebligen Tiefe emporstrebten, erfüllte sein Herz mit Zuversicht und Stolz. (Ein deutscher, ein nordischer, ein asischer Wald!) Auch war ihm wohlig warm. Friede lag über allem. Was war das – Krieg? Doch das ferne, leise Dröhnen, das nun durch die Stille plötzlich wieder an sein Ohr drang, redete eine andere Sprache.
    Nach einer Weile – Täfelchen hatten den Weg gewiesen, und allerorten gab es Rastplätze für kurzatmige Leute – kam er auf eine Hochfläche hinaus, über die mit Gekrächz Dohlen strichen. Aus dem Nebel traten die Umrisse eines villenartigen Gebäudes, beim Näherkommen erwies es sich von schauerlicher Bauart. Eine Art Ritterburg, der man die Wehrtürme gekappt hatte. Spitzbogen, Erker, Ziergitter, steile Giebelchen – ein riesiger Traum von der Jahrhundertwende. Höllriegl fühlte sich durch diese Talmiburg sogleich abgestoßen; er fand nämlich nur die Großbauten des Führers schön oder jene hoch-giebligen SS -Siedlungen mit ihren mächtigen Vierkanttrakten und weiten Appellplätzen. Gotik war abstruses christliches Zeug, und das ostmärkische Barock haßte er geradezu.
    Jetzt tauchten auch Personen aus dem Nebel auf, immer mehr, sie waren den bequemeren Fahrweg heraufgekommen. Man sah Fahrräder und Mopeds, und ein gelähmter Mann betätigte mit weit ausholenden Griffen seinen Rollstuhl. In Gruppen strebte alles einer offenen Pforte zu, an der eine Frau die Gäste in breitem Niedersächsisch begrüßte. Man wurde gebeten, nicht zu lärmen, der Professor predige bereits. Durch eine Einfahrt gelangte man in die Halle, von dort führten Stufen zu der mit Balustersäulen geschmückten Empore. Die ganze Aufmachung rief in Höllriegl gemischte Erinnerungen wach, halb aristokratische, halb amazonische, auf alle Fälle beschämende – die Schramme brannte wieder lichterloh. Nur gab es bei Gundlfinger keine Raumverschwendung, alles hatte gutbürgerliches Maß.
    Die Halle war gesteckt voll. Höllriegl konnte sich gerade noch durch den Eingang drücken, die Späterkommenden mußten draußen in der Einfahrt bleiben. Dichtgedrängt standen die Zuhörer, zu andächtigen Statuen erstarrt. Nur wenige hatten auf den paar Steinbänken Platz gefunden, sie waren wohl schon früh gekommen. (In Sackelruh ging die Rede, daß manche Leute, die immer wieder zu Gundlfinger pilgerten, oft eine ganze Nacht auf Einlaß warteten, und dies selbst bei schlechtem Wetter.) Andere wieder hatten Touristenstühle mitgebracht und Sesselpolster oder sich einfach auf den Estrich hingesetzt. Höllriegl, turnerisch gewandt, konnte sich einen Platz auf dem Vorsprung eines Säulenfußes erobern, wobei ihm die Aktenmappe sehr hinderlich war, und von dort aus die Menge überschauen. Vorn, in der ersten Reihe, knieten Frauen, ihre Arme hingen schlaff herab, und den Kopf hielten sie wie in Verzückung gesenkt. Der Aufgang zur Empore war durch ein Seil aus rotem Samt gesperrt.
    Trotz aller Vorsicht verursachten die Neuankömmlinge Unruhe und Lärm, aber die Lauschenden nahmen keine Notiz davon. Sie waren zu konzentriert – ähnlich konzentriert,

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