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Wenn das Glück dich erwählt

Wenn das Glück dich erwählt

Titel: Wenn das Glück dich erwählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Lael Miller
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diesen Weg geritten war, selbst wenn sie hoch auf dem Pferd gesessen und Scully sie begleitet hatte. Es drohten ihr so viele Gefahren in der freien Wildnis. »Du wirst von Mal zu Mal erwachsener.«
    »Das ist doch ganz natürlich, Mama.«
    »Selbstverständlich ist es das.«
    »Ich werde ganz besonders hübsch aussehen in diesem Kleid.«
    Evangeline unterdrückte ein Lächeln. »Selbstvertrauen ist etwas Gutes, Abigail, aber du solltest nicht zu unbescheiden sein.« Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Scully sein Buch zuklappte und es beiseite legte. Dann erhob er sich und schob die Liege wieder in den Anbau.
    Als das erledigt war, wünschte er ihnen eine gute Nacht und zog sich in den kleinen Nebenraum zurück.
    »Es ist eisig kalt da drinnen, Mama«, vertraute Abigail ihr mit besorgter Miene an. »Hortense und ich haben so getan, als wäre es der Nordpol, als wir dort drinnen Forscher spielten, und wir konnten unseren eigenen Atem sehen.«
    Evangeline nickte nur. Sie hatte schon begonnen, den Stoff zurechtzuschneiden, und konzentrierte sich auf ihre Aufgabe.
    »Meinst du nicht auch, Scully sollte lieber in unserem Bett schlafen? Wie gestern Nacht?«
    Einen flüchtigen Moment schloss Evangeline die Augen. Die Frage war natürlich völlig harmlos aus dem Munde eines Kindes, aber der Gedanke, dass Abigail ein solches Thema bei Big John anschneiden könnte, vor den McCaffreys oder gar in Scullys Hörweite, ließ sie erschaudern vor Verlegenheit.
    »Nein, Liebling, der Ansicht bin ich nicht«, antwortete sie. »Das war eine ganz besondere Situation. Mr. Murdoch brauchte einen Platz zum Übernachten, und da es draußen in der Scheune viel zu kalt für ihn gewesen wäre, überließ Scully ihm sein Bett für eine Nacht.«
    »Oh«, sagte Abigail, aber es klang verwirrt.
    »Apropos Bett«, wandte Evangeline vielsagend ein. »Es wird höchste Zeit, dass du dich wäschst, deine Zähne putzt und schlafen gehst. Morgen werden wir einige Lektionen wiederholen, und dann bringe ich dir das Stricken bei. Du könntest einen Schal stricken.«
    Abigail wirkte alles andere als begeistert. »Ich würde lieber meine Stute reiten«, sagte sie. »Stricken ist etwas für Mädchen.«
    »Du bist ein Mädchen, Abigail«, rief Evangeline ihrer Tochter geduldig in Erinnerung. »Hast du das vergessen? Es ist gut, wenn du Reiten und sogar Schießen lernst, falls Scully es dich lehren will, aber eine Frau zu sein ist etwas, worauf man stolz sein kann, und ich dulde nicht, dass du deine Weiblichkeit so einfach abtust, als wäre sie gar nicht vorhanden.«
    Obwohl sie erst sechs war, konnte Abigail schon erstaunlich verständig sein - und ungeheuer aufsässig. »Ich habe dich einmal mit Miss English sprechen hören, als sie zum Tee bei uns war«, sagte sie. »Damals sagtest du, Hunde, Maultiere und Zaunpfosten hätten mehr zu sagen in der Welt als Frauen.«
    Evangeline seufzte. Das hatte sie gesagt, das stimmte, und jedes Wort war ihr auch ernst gemeint gewesen. Rachel hatte ihr in allem zugestimmt. Trotzdem war es ihr jetzt peinlich, gehört worden zu sein. »Wenn Erwachsene sich unterhalten, übertreiben sie manchmal«, erwiderte sie ruhig. »Um das Gesagte anschaulicher zu machen, denke ich.«
    »Du hast übertrieben?«, wiederholte Abigail.
    Gott verzeih mir, wenn ich lüge, dachte Evangeline bei sich. »Ja, Liebling«, erwiderte sie laut.
    Abigail wirkte nachdenklich, ließ das Thema aber fallen und ging, um sich zu waschen und sich ins Bett zu legen. Nachdem sie ihr Nachtgebet gesprochen hatte - Evangeline hörte, wie sie Gott bat, Scully wieder gesund zu machen und dafür zu sorgen, dass Mr. Murdoch wohlbehalten die Postkutschenstation erreichte -, deckte Evangeline sie zu und kehrte zu ihrem Stoff am Tisch zurück. Näharbeiten hatten schon immer eine beruhigende Wirkung auf sie gehabt, und deshalb arbeitete sie länger, als vermutlich ratsam war, und legte das angefangene Projekt erst in die Truhe, als ihr einfiel, dass der Petroleumvorrat für die Lampen zwar ausreichend, aber gewiss nicht unerschöpflich war.
    Bis auf die Tatsache, dass Mr. Murdoch nicht mehr da war, verlief jener Tag wie viele andere, die darauf folgen sollten. Schnee fiel und schmolz dann wieder. Die Tiere mussten gefüttert und versorgt werden, und täglich musste jemand Wasser von der Quelle holen. Scully erholte sich recht gut von seinen Verwundungen, und an den meisten Tagen ging er auf die Jagd, von der er dann ein Kaninchen oder ein Schneehuhn mitbrachte, an manchen

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