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Wenn das Herz im Kopf schlägt

Wenn das Herz im Kopf schlägt

Titel: Wenn das Herz im Kopf schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
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Stille breit. Nur das leise Rauschen des Computers ist zu hören.
    »Da ist was schief gelaufen. Oder?« Van Oss schaut zwischen Böhm und Steeg hin und her, als würde er den Ball in einem Tennismatch verfolgen. »Ich meine, wegen der Todesanzeige. Der hatte doch geplant, dass Gietmann am Freitag stirbt.«
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    Noch einmal versucht er, sie zu Hause anzurufen. Nach dem fünften Klingelzeichen legt er auf. Jetzt würde gleich der Anrufbeantworter anspringen. Er will es nicht hören.
    Van Oss und Steeg sind fort, haben die Ausdünstungen ihrer Essensreste und eine zielstrebige Eile zurückgelassen. Eine Vorfreude auf den weiteren Verlauf ihrer Abende.
    Eigentlich müsste er Liefers, seinen Chef, anrufen. Aber der mag am Wochenende nicht gestört werden, und was könnte er auch schon tun? Er würde ermutigende Worte finden, sein Vertrauen in ihn zum Ausdruck bringen und danke sagen, ohne für die Störung dankbar zu sein. Liefers ist ein Phänomen. Man bekommt ihn selten zu Gesicht, und trotzdem ist er allgegenwärtig. Bald wird er in Pension gehen, aber keiner kann sich so recht vorstellen, wie es ohne ihn sein wird.
    Er hat sich über Jahre in liebevoller Kleinarbeit ein altes Schiff in Stand gesetzt und träumt davon, damit im Mittelmeer von Hafen zu Hafen zu schippern. Von seinen Mitarbeitern wird er anerkennend Kapitän genannt.
    Er war lange das Bollwerk nach außen. Er verlangte von jedem absolute Loyalität gegenüber dem Präsidium und ging als bestes Beispiel voran. Aus anderen Städten hört man immer wieder, wie Sündenböcke rekrutiert werden, um Fehlentscheidungen auf höherer Ebene zu kaschieren. Liefers aber stand zu »seinen Mannschaften«, wie er das nannte. Nie hat er einen seiner Mitarbeiter der Presse oder einem Disziplinarverfahren kampflos überlassen, außer bei nachweislicher Korruption. Da kennt er kein Erbarmen.
    Böhm schaltet den PC aus, zieht seine Lederjacke an und greift nach den Autoschlüsseln.
    Vom Fenster aus schaut er über den ausgestorbenen Marktplatz. Die Laternen haben ihre Köpfe in das blattlose Geäst der Ulmen gesteckt und gießen orangefarbenes Licht über das Kopfsteinpflaster. Er nimmt einen tiefen Atemzug und wendet sich ab.
    Auf der Landstraße hupt der Autofahrer hinter ihm und blendet auf. Sein Tacho zeigt fünfundzwanzig Stundenkilometer. Böhm tritt das Gaspedal durch. Als er in den Schusterweg einbiegt, sieht er, dass sie nicht da ist.
    Er betritt das Haus, ohne Licht zu machen, und stellt die Einkaufstaschen auf die Arbeitsplatte. Das diffuse weißliche Licht der Straßenlaterne zeigt ihm, dass auf dem Tisch sein Frühstücksbrot auf dem Holzbrettchen liegt. Die Zeitung ist aufgeschlagen. Wie ein Gebirge aus Buchstaben verdeckt sie Kaffeekanne, Marmeladentopf und Käseglocke.
    Er geht ins Wohnzimmer, greift zur Fernbedienung, schaltet den Fernseher ein und stellt den Ton ab. Zwei junge Männer gehen durch einen Wald. Sie scheinen miteinander zu reden. Aus den Augenwinkeln nimmt Böhm das Blinken der kleinen roten Lampe wahr. Jemand hat auf den Anrufbeantworter gesprochen.
    Vielleicht Brigitte. Vielleicht will sie ihm mitteilen, dass sie nicht wiederkommt.
    Er steht auf und geht ins Badezimmer. Ihre Zahnbürste liegt da, ihr Shampoo, ihr Parfüm. So was nimmt man doch mit, wenn man über Nacht fortbleiben will. So was nimmt man doch mit, wenn man seinen Mann verlassen will!
    Er geht zurück in das blaue Flackerlicht des Wohnzimmers, drückt auf die Rücklauftaste des Anrufbeantworters und dann auf Start. Tobias, sein Sohn, meldet sich und seine Freundin Nicole für das nächste Wochenende an. »Ach, toll wäre, wenn Mama Kohlrouladen machen könnte!« Er drückt die Stop-Taste. Das Band ist nicht zu Ende. Es ist mindestens noch eine Nachricht darauf gespeichert.
    Er geht in die Küche, schaltet das Licht ein und kramt aus der Einkaufstüte die Flasche Merlot hervor. Mit dem kleinen Messer des Korkenziehers schneidet er die Kappe mit zwei kleinen Drehbewegungen ab. Die Spirale gleitet fast widerstandslos in den Korken.
    Das satt Plopp lässt ihn aufatmen. Das satte Plopp in dieser Stille macht ihm Mut.
    Er nimmt ein bauchiges Weinglas aus dem Schrank, gießt eine kleine Pfütze hinein und verkostet. Dann schenkt er das Glas randvoll, geht zurück zu dem kleinen schwarzen Kasten und drückt erneut auf Start.
    Viermal hört er zu und spult zurück. Viermal scheinen die Worte gegen seine Stirn zu schlagen, aber seinen Verstand nicht zu erreichen. Wie Spruchbänder

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