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Wenn das Herz im Kopf schlägt

Wenn das Herz im Kopf schlägt

Titel: Wenn das Herz im Kopf schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
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fallen sie an ihm hinunter, winden sich um seinen Körper und machen ihn bewegungslos. Als er auf Stop drückt, stirbt die kleine rote Lampe. Das blaue Licht des Fernsehers irrt durch die Wohnung und verspottet ihn.
    »Hallo Peter. Ich habe mich entschlossen, noch einige Tage hierzubleiben. Ich brauche Zeit zum Nachdenken. Bis bald!«
    Er hat ihre belegte, hastige Stimme gehört. Er hat das Räuspern gehört, bevor sie »Bis bald« sagte. Und wie beim Tod seines Sohnes weiß er nicht, was er wirklich betrauert. Den Verlust oder all seine Versäumnisse.
- 16 -
    Gleichbleibende Rhythmen hämmern aus den riesigen Boxen. Unter dem weißen Licht des Stroboskop tanzen Männer und Frauen mit schweißglänzenden Gesichtern. Ihre Bewegungen sehen abgehackt und fieberhaft aus. Spielzeugmäuse. Aufgedreht von Geisterhand, verbrauchen sie ihr Serotonin in einer einzigen Nacht.
    Süßlich feuchter Dunst, angereichert mit dem Qualm von Zigaretten und verbranntem Gras. Bekannte heben die Hand zum Gruß. Lippen formen ein »Hey« und lächeln.
    Es hat lange gedauert. Immer wieder hat er geröchelt und gestöhnt. In der Stille der Nacht hat es geklungen, als würde ein Gigant seine letzten Töne in die Weite schreien. Wenn jemand stirbt, sickern die Töne in die Erde. Da gehören sie hin. Aber so ist es nicht gewesen. Aufgestiegen sind sie, in die tropfende Schwärze des Himmels. Stark ist er gewesen. Obwohl er bestimmt eine Gehirnerschütterung gehabt hat, ist er stark gewesen. Aber die Stricke haben gehalten.
    Als der Kauz rief, war er immer noch nicht tot. Die Nacht würde ihr schwarzes Tuch heben und alles sichtbar machen, und er war immer noch nicht tot! Nicht nachhelfen! Ruhe bewahren! Und dann dieser zarte, kaum sichtbare Ruck vom Kopf bis zu den Füßen.
    Er war ein Lebemann, ein feiner Lebemann. Jetzt ist er ein Todmann, ein feiner Todmann!
    Die Bässe der Musik in Verbindung mit dem rhythmischen Licht beruhigen. Zwei Dinos in der Hosentasche und ein bisschen DOM. Sein Handy und die Autoschlüssel in der Jackentasche. Knüppel und Schuhe sind vergraben. Das Handy und die Autoschlüssel müssen auch verschwinden.
    Die schweißnassen Hände über die Oberschenkel reiben. Die Hose ist aus Synthetik und nimmt den Schweiß nicht. Trinken ohne Durst. Essen ohne Hunger. Der Magen zieht sich zusammen und katapultiert Säure in die Speiseröhre. Der Körper presst die letzten Tropfen Feuchtigkeit in die Achselhöhlen. Atmen, atmen, atmen!
    Ein Barkeeper stellt ein Glas Wasser auf den Tresen. »Trink, verdammt!«, schreit er. Seine Augen drohen. Der peitschende Rhythmus nimmt das Wort auf. »Trink, verdammt! Trink, verdammt, trink!«, hämmert es im Kopf.
    Das Glas ist angenehm kühl in den Händen.
    Die Angst, es nicht zu schaffen, hat sich gelegt, als dieses letzte, kleine Schütteln durch den großen Mann gefahren ist, wie ein zärtlich versteckter Abschiedsgruß.
    Morgen ist alles wieder gut! Wenn die Sonne aufgeht, wird ein ganzer Tag dazwischen liegen. Dann ist er Vergangenheit. Jetzt ist es an der Zeit, die nächsten Tage zu durchdenken. Der Anfang ist gemacht. Jetzt heißt es, Schritt für Schritt den Weg zu Ende gehen.

Sonntag, 11. März 2001
- 17 -
    Der Gietmann ist nicht mehr!
    Der Gietmann ist nicht freiwillig gegangen!
    Ruth Holter schüttet den letzten Kaffee aus der Porzellankanne. Schon gestern hatte sie bis zwei Uhr nachts alle Hände voll zu tun und jetzt, kaum dass es zehn Uhr ist, schon wieder. In den letzten zehn Jahren ist das nur 1995, beim großen Hochwasser, so gewesen. Damals sind alle erst in die Kirche gegangen. Damals hatten sie Angst, dass es sie selber treffen könnte. Heute sind sie nicht erst in die Kirche. Heute fühlen sie sich nicht bedroht. Heute sind sie sich sicher, dass sie nicht wie Gietmann enden werden.
    Vor zwei Jahren hat sie die große Kaffeemaschine gekauft. Eigentlich ist die nur für die Beerdigungen, Heiligen Kommunionen und fürs Schützenfest.
    Sie schleppt den schweren Kessel aus dem Lager in die Küche, füllt ihn mit Wasser und gibt ein Pfund Kaffee in den Filter. Vierzig Tassen. Das wird wohl reichen. Achtzig Mark, wenn alle verkauft sind.
    Der Gietmann ermordet.
    Abgeschlachtet, hatte Jörg Lüders gestern gesagt.
    Sie hat heute Morgen mit Frederike telefoniert. Ihr Beileid ausgesprochen und mal nachgefragt, wegen der Beerdigung. Aber da hat die noch nichts zu sagen können.
    Flink stellt sie Tassen und Unterteller auf ein Tablett und eilt zurück in die Gaststube. Ihr

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