Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn das Herz im Kopf schlägt

Wenn das Herz im Kopf schlägt

Titel: Wenn das Herz im Kopf schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
Vom Netzwerk:
Kittelkleid dreht sich bei jedem Schritt zischelnd um den dürren Körper. Die Stereoanlage hat sie heute nicht eingeschaltet. Gestern auch nicht. Das gehört sich nicht. Musik, wenn so was passiert ist.
    »Kaffee kommt in fünf Minuten!« Schnell zapft sie noch ein paar Biere an. Alle Mannsbilder vor der Theke. Ihr soll es recht sein.
    Frederike hat gesagt, verblutet ist der. Und so was hier, bei uns. Aber der Gietmann hat ja schon immer auf großem Fuß gelebt, musste dauernd in die Stadt. Bauunternehmer hat der sich genannt. Außerdem mit all den Zugezogenen in der neuen Siedlung. Die Hälfte sind Holländer und sogar Russen und Türken mit eigenen Häusern. Da fragt man sich doch, wie die sich das alles leisten können. Vor drei Wochen haben sie dem Leon aus der Nachbarschaft das Moped gestohlen. Mitten im Dorf. So was hätte es früher nicht gegeben. Da konnte man die Hintertüre den ganzen Sommer auflassen, auch nachts, damit Luft durchs Haus zog.
    Der Gietmann!
    Deine kleine, primitive Schänke, hat er einmal gesagt. Aber da war er betrunken gewesen. Der hat so manche Mark dagelassen. Das war jetzt vorbei.
    Norbert wird schon wieder laut. Kaum dass der zwei Biere getrunken hat, wird der laut. »Das muss ja nicht unbedingt jemand von außerhalb gewesen sein!« Er rutscht sich auf seinem Hocker zurecht. »Kann auch einer aus dem Dorf sein, oder?«
    Sie greift zum Zapfhahn und zieht die vorgezapften Biere geschickt über das Blech. Nur das schabende Geräusch von Glas über Metall ist zu hören. Norbert ist auch ein Zugezogener. Man kann es hören, wenn ein Zugezogener spricht.
    »Ach ne? Und an wen hast du so gedacht?« Jörg Lüders steckt sich eine Zigarette an, ohne Norbert aus den Augen zu lassen. Selbst an den Tischen wird nicht mehr gesprochen.
    »Ich meine niemand Bestimmtes, aber die Polizei wird doch so denken. Für die sind wir doch alle verdächtig.«
    »Quatsch. Ich sag dir was. Der Gietmann war bekannt dafür, dass er immer eine Menge Bargeld bei sich hatte.«
    Zustimmendes Gemurmel breitet sich aus.
    »Der hatte zu viel mit Leuten zu tun, die großspurig auf Pump leben!« Günter Mahler nickt wissend von seinem Tisch aus herüber. »Ruth, ich hatte noch vier Bier bestellt. Wo bleiben die?« Mit dem Arm in der Luft umschreibt seine Hand einen kleinen Kreis über dem Tisch.
    »Die kommen!« Sie steckt sich den Kugelschreiber unter das schwarz gefärbte Haar hinters Ohr, steckt geschickt drei Stielgläser zwischen die Finger ihrer linken Hand, eines nimmt sie in die Rechte und geht zum Tisch. Sie malt vier ordentliche Striche auf Günters Deckel und verteilt die Gläser. Jetzt trinken die alle Bier. Jetzt, wo sie die große Kaffeemaschine angestellt hat.
    »Das mit dem Geld als Motiv stimmt nicht!« Norbert wartet. Norbert will gefragt werden.
    Mahler prostet den anderen am Tisch zu. Er stellt sein Glas mit großer Gebärde zurück. »Und wieso nicht?«
    »Gietmann ist nicht ausgeraubt worden. Außerdem haben sie sein Auto gefunden. Oben, am Eichenhain!«
    Stuhlbeine rutschen schabend und quietschend über die alten Holzdielen. Alle Augen sind auf Norbert gerichtet.
    Ruth lässt heißes Wasser in das zweite Becken laufen.
    »Aber das ist noch nicht alles.« Er greift in seine Arbeitsweste und zieht eine gefaltete Zeitungsseite hervor. »Die ist von gestern!« Er hält das Blatt Jörg hin.
    Ruth hat ihre Hände im Spülwasser ertränkt. Ganz still steht sie da und starrt ins Wasser. Sie hat es gelesen. Gestern Vormittag hat sie es gelesen. Sie hat die Zeitung beiseite gelegt und gedacht, Gietmanns gibt’s wie Sand am Meer. Und sie hat gedacht, eine komische Anzeige, so ganz ohne die Namen der Angehörigen.
    »Was ist das denn? Lies doch mal vor!« Mahler schiebt sein Bierglas in die Mitte des Tisches und beugt den Oberkörper hinterher.
    Jörg drückt, ohne den Blick vom Zeitungsausschnitt zu heben, seine Zigarette im Aschenbecher aus. »Das gibt’s doch gar nicht! Seine Todesanzeige!« Er schnappt mit offenem Mund und saugt Luft in die Lungen. »Begrenzt ist das Leben, doch unendlich die Erinnerung. Werner Gietmann ist am 9. März 2001 von uns gegangen.«
    Zigarettenrauch hängt wie ein Baldachin unter der Decke. Der Spielautomat scheppert eine kurze Tonfolge in den Raum, um auf sich aufmerksam zu machen.
    Ruth zieht ihre knochigen Hände aus dem Wasser und eilt in die Küche. Das kann doch nicht sein. Das kann doch gar nicht sein. Sie füllt Kaffee in eine Porzellankanne. Als sie in die Schänke

Weitere Kostenlose Bücher