Wenn das Herz im Kopf schlägt
Kaffees. »Ich fahre zu Frau Gietmann.« Er nickt Joop entschieden zu. »Außerdem brauchen wir alle Gerüchte, Verleumdungen und Wahrheiten, die im Dorf die Runde machen.«
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Seit vier Wochen ist sie zurück.
Langsam begreift sie, dass es Samstag ist und sie den Tag wohl wieder verschlafen hat. Sie steht auf und wandert durch die Wohnung. Vor drei Monaten hatte es wieder angefangen. Diesmal hatte sie nicht versucht, sich das Leben zu nehmen. Keine Tabletten, keine Schnitte an den Armen, kein Gas in der Küche.
Ich tue es nicht mehr, meine Kleine! Ich schwöre, ich tue es nicht mehr. Es wird alles gut
.
Diesmal hatte sie ihr Versprechen gehalten. Diesmal war sie früh genug zum Arzt gegangen und hatte sich einweisen lassen.
Der Wecker auf dem Nachttisch zeigt sieben Uhr. Morgens? Nein, es muss neunzehn Uhr sein.
Sie steht auf und geht in die Küche. Durchgeschlafen, den ganzen Tag durchgeschlafen. Das bedeutet, dass sie ihre Medikamente nicht pünktlich genommen hat, dass sie nichts gegessen hat, dass ...
Auf dem Küchentisch steht ihre Medizinbox, ein sorgfältig mit Tag und Uhrzeit beschriftetes Kästchen, das ihre Tabletten enthält.
Samstag bis 9.00 Uhr
steht da. Eine längliche grüne und eine runde weiße Tablette liegen unter dem Schriftzug.
Es ist hell. Es kann noch nicht Abend sein. Es ist tatsächlich erst sieben Uhr. Erleichtert öffnet sie die Box und geht mit einem Glas Wasser zum Fenster. Keine Menschen. Die Straße liegt ungenutzt da, links und rechts eingefasst von parkenden Autos. Noch so früh. Eigentlich könnte sie sich noch mal hinlegen. Sie geht rüber in den Wohnraum, legt sich auf das Sofa und schaltet den Fernseher ein.
Der Nachrichtensender zeigt oben in der rechten Ecke den Tag mit Datum und Uhrzeit.
Sie springt auf. Aber ...!
Wieder starrt sie auf den Bildschirm. Da steht es!
Sonntag, 11. März, 7.18 Uhr
Schon wieder. Schon wieder hat sie einen ganzen Tag und zwei Nächte durchgeschlafen. Sechsunddreißig Stunden!
Sie läuft in die Küche. Wütend fixiert sie die Medikamentenbox. Was machen die mit ihr? Warum geben die ihr Pillen mit solchen Auswirkungen? Zitternd atmet sie ein. Nein, ganz ruhig! Jetzt nicht die Falschen verdächtigen. In der Klinik waren doch alle nett zu ihr gewesen. Warum sollten die ihr schaden wollen?
Sie läuft ins Wohnzimmer zurück. Vielleicht hat sie es falsch gesehen.
11. März, 7.22 Uhr
.
Sie sackt auf das Sofa und schlägt die Hände vors Gesicht. Was passiert nur mit ihr? Was geht hier vor?
Hitze steigt auf, kriecht die Wirbelsäule hinauf in ihren Kopf und macht alle Bilder rot.
Frau Behrens, Sie haben Probleme mit Ihrer Wahrnehmung. Das wissen Sie doch! Sie haben eine ausgeprägte Phantasie. Sie müssen lernen zu unterscheiden!
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Er ist früh aufgestanden und marschiert zum Hochsitz. Hier haben sie sein Auto gefunden. Ausgerechnet unter seinem Hochsitz. Und Gietmann selbst auf seinem Wirtschaftsweg. Ausgerechnet auf seinem Wirtschaftsweg. Da geht er nicht hin. Er klettert den Hochsitz hinauf und sieht, gut zwanzig Meter von der Landstraße entfernt, das Absperrband und den Polizisten. Wie lange wollen die denn auf seinem Acker rumstehen und seine Rapssaat zertreten?
Gestern sind sie da gewesen. Ein Toter, haben sie gesagt, und ob er was gehört oder gesehen hätte in der Nacht? Ein Fremder, hat er gedacht, ist gar nicht auf die Idee gekommen, dass es jemand aus dem Dorf sein könnte.
Ausgeblutet, hat Jörg gestern Abend gesagt. So wie die Türken ihre Schafe schlachten. Im Fernsehen gibt es das alles, aber hier. Das kommt von all den Ausländern, die sie hier reinlassen. Früher hat es so was nicht gegeben. Da konnte man hier jedem trauen. Da kam nicht mal eine Mistgabel weg. Ganz im Gegenteil, eher hätten am nächsten Morgen zwei da gelegen! So war das früher!
Die Sonne kriecht bleich in den Frühnebel. Es wird ein warmer Tag werden. Ein erster richtiger Frühlingstag. Jörg und die anderen Jungbauern hören Nachrichten, um zu wissen, wie das Wetter wird, und oft kommt es dann doch anders. Er kann es morgens sehen und inzwischen am Abend vorher in seinen Knochen spüren.
Die kühle Morgenluft reibt in seiner Lunge. Die Zigarren. Die Zigarren sollte er weglassen.
Nicht dass er sich Gietmanns Tod gewünscht hat, aber das mit der Rückzahlung des Darlehens ist jetzt vorbei. Monat für Monat fünfhundert Mark. Bis an sein Lebensende wäre das so weitergegangen.
Geschimpft und gedroht hat Gietmann letztes Jahr. Einen
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