Wenn das Herz im Kopf schlägt
bin ins Bett.« Sie schüttelt ungläubig den Kopf.
Böhm hatte bereits beim Hereinkommen im Flur gesehen, dass es sich um ein altes Telefon handelt, auf dem eine Rückverfolgung nicht möglich ist. Er beugt sich vor. »Es ist verständlich, dass Sie das gedacht haben.«
Sie nickt dankbar. »Ja, aber dann kam Frederike gestern Morgen mit dieser Anzeige. Es war ja kein Ort angegeben, und es gibt so viele Gietmanns. Und wer kommt denn auf so was? Wer macht denn so was?« Ihre Hände flattern im Schoß auf und ab, wie Vögel, die zum ersten Mal versuchen, das Nest zu verlassen. Tränen sammeln sich in ihren geröteten Unterlidern. Sie zieht ein weißes Taschentuch aus dem Ärmel ihrer Bluse.
»Ihr Mann hat nicht erwähnt, mit wem er telefoniert hat?«
Sie schüttelt den Kopf.
»Frau Gietmann, wenn man die Anzeige liest, klingt es ein bisschen so, als habe sich da jemand gerächt. Vielleicht für etwas, was schon sehr lange zurückliegt. Fällt Ihnen dazu etwas ein?«
»Nein!« Sie hat sich wieder im Griff. »Es gab sicher auch mal Ärger mit Kunden. Zweimal hat es Gerichtsverhandlungen gegeben. Mit Lüders hat er sich überworfen. Da ging es um ein Darlehen. Nein! Nichts, wofür man jemanden umbringt.«
Böhm lässt sich die Adresse von Lüders geben und verabschiedet sich. Im Flur dreht er sich noch einmal um. »Frau Gietmann, hatte Ihr Mann ein Handy?«
Sie nickt. »Das hatte er immer bei sich. Das hatte er auch Freitag mit. Das weiß ich genau. Es lag im Wohnzimmer auf dem Tisch. Er hat es in seine Manteltasche gesteckt.«
Böhm lässt sich die Nummer geben, gibt ihr seine Visitenkarte und verabschiedet sich.
Auf dem Weg zum Auto hält Böhm das Gesicht in die Sonne. Die hat schon Kraft. Genau wie das Nein von Frau Gietmann, als er sie nach Ereignissen aus der Vergangenheit gefragt hat. Er nimmt das Telefon aus der Tasche, zieht seine Lederjacke aus und legt sie auf den Beifahrersitz. Die Telefonnummer des Präsidiums ist unter 1 gespeichert.
Joop meldet sich. Böhm gibt ihm die Handy- und Festnetznummer von Gietmann durch und bittet um Überprüfung.
Bis zum Haus von Frederike Gietmann sind es nur fünfhundert Meter. Er beschließt, zu Fuß zu gehen. Das Gurren der Tauben perlt über den jetzt strahlend blauen Himmel und begleitet ihn den schmalen Weg um den Hof herum bis ins Neubaugebiet.
Frederike sitzt auf der Terrasse ihres Hauses. Von hier aus blickt man direkt auf die Rückseite ihres Elternhauses. Zwei Kinder im Vorschulalter spielen auf einem ordentlich getrimmten Rasen mit Sandkasten, Schaukel und Rutsche. Nur die roten Augen der hochgewachsenen, schlanken Frau trüben das Bild. Ihr braunes Haar hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
Sie bietet Stuhl und Kaffee an. Den Stuhl nimmt er gerne, den Kaffee lehnt er ab.
Sie habe mit ihrer Mutter gestern nicht gesprochen und sei ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass ihr Vater wie jeden Freitag im
Chez Susan
gewesen sei. Nein, sie habe ihn nicht wegfahren sehen.
»Meine Mutter hat gesagt, dass er regelmäßig im
Chez Susan
war?« Sie schaut ihn mit großen Augen an. Für einen Augenblick weicht alle Trauer aus ihrem Blick. »Mir hat sie immer erzählt, er ginge im Hotel
Rübezahl
kegeln und würde dort übernachten, weil er angetrunken nicht fahren wollte.«
Böhm bedauert, dass er nur noch eine Frage hat. Er würde gerne hier in der Sonne sitzen bleiben und den Kindern beim Spielen zusehen.
»Die Todesanzeige, Frau Gietmann. Wer hatte einen Grund, sich zu rächen?«
Sie hebt resigniert die Schultern. »Ich habe die Buchführung für meinen Vater gemacht. Geschäftlich ist das alles normal gelaufen. Jedenfalls alles, was über meinen Schreibtisch gegangen ist. Mit der Bebauung hier hat es Ärger gegeben. Umweltorganisationen haben Theater gemacht. Vogelschutzgebiet, vor allem wegen der Wildgänse. Aber sicher kein Grund für so etwas.«
Eines der Kinder beginnt zu weinen.
»Lara, gib Moritz die Schubkarre zurück. Er hatte sie zuerst.«
Dann sieht sie ihn direkt an. »Vor ungefähr vier Jahren hat Vater einen Arbeiter entlassen, der Baumaterialien geklaut hat. Der hat damals über den Hof gerufen: ›Das zahle ich dir heim. Irgendwann kriege ich dich!‹ Und letztes Jahr gab es diesen Riesenärger mit Lüders. Vater hatte ihm Geld geliehen, und Lüders wollte es nicht zurückzahlen. Es gab nichts Schriftliches. Ich weiß nicht, ob er gezahlt hat, aber da sind auch viele unüberlegte Worte gefallen.«
Am Horizont
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