Wenn das Herz im Kopf schlägt
schützt die Bewohner. Der junge Mann aus der Dorfschänke öffnet ihm.
Böhm stellt sich vor.
Das Wohnzimmer ist groß und behaglich, die Möbel handgearbeitet und alt. Sie können von Generation zu Generation weitervererbt werden. Nur mit einer Axt kann man ihrer Beständigkeit ein Ende setzen.
Die schweren Sessel und das Sofa sind neu bezogen und zeigen sich in blassem Beige und Altrosa. Es riecht nach Braten und Essig. Ludwig Lüders sitzt in einem der Sessel und hat die Tageszeitung von Samstag vor sich ausgebreitet. Seine Frau steht am Esstisch und legt ein neues Tischtuch auf. Er erhebt sich schwerfällig und reicht Böhm die Hand. Sie nickt ihm zu und verschwindet durch die Tür hinter der Essecke. Einige Sekunden später hört man Wasser laufen und Geschirr klappern.
»Mein Sohn hat mir das von der Todesanzeige erzählt. Ich lese ja keine Todesanzeigen. Meine Frau liest Todesanzeigen. Aber wer macht denn so was?«
Er hebt den Anzeigenteil heraus und reicht ihn Böhm. »Ich kenne die Anzeige, Herr Lüders. Eigentlich wollte ich Sie fragen, wer so was macht. Es scheint doch so, als ginge es hier um Rache für eine alte Geschichte.«
Jörg lehnt mit verschränkten Armen an der Zimmertür. Böhm fällt auf, wie unähnlich sich die Brüder sind. Jörg ist auch blond, aber er hat dickes, volles Haar und ist schlank. Seine Haut ist sogar um diese Jahreszeit von gesunder Bräune.
Ludwig Lüders kann den Blick nicht von der Anzeige nehmen. Er schüttelt den Kopf. Erst jetzt scheint Böhms Frage ihn zu erreichen. »Ich weiß nichts. Das ist doch ein Irrer. Da weiß man doch nicht, was in solchen Köpfen vorgeht.«
»Sie hatten Streit mit Gietmann. Es ging um ein Darlehen.« Böhm schießt ins Blaue und setzt sich unaufgefordert Lüders gegenüber in einen Sessel.
Jörg steht jetzt in seinem Rücken. Böhm sieht, wie Vater und Sohn einen kurzen Blick tauschen.
Lüders schnaubt verächtlich. »Ja, wir hatten Streit wegen eines Darlehens, aber das habe ich zurückgezahlt, auf Heller und Pfennig, mit Zins und Zinseszins. Und wenn jemand was anderes behauptet, der soll herkommen. Der soll mir das schwarz auf weiß zeigen!« Er hat sich in Zorn geredet. Sein Gesicht läuft rot an. Er lauert.
»Sie haben den Hof hier auf Erbpacht gekauft. Hatte Frau Behrens keine Erben?«, wechselt Böhm das Thema.
»Doch, hat sie. Anna Behrens hat die Kate, den Wald und das Land im Westen geerbt. Die kümmert sich aber nicht. Ist nicht mal zur Beerdigung gekommen, und die Kate hat sie nur einmal betreten. Jetzt steht sie leer.«
Böhm stützt seine Ellbogen auf den Oberschenkeln ab und beugt sich vor. »Wissen Sie, was ich nicht verstehe? Gietmann hat Ihnen Geld geliehen, und Sie haben es zurückgezahlt. Worüber gab es dann Streit?«
Lüders wechselt wieder einen kurzen Blick mit seinem Sohn, dann schaut er suchend über den Tisch. »Das Übliche. Zinsen, Laufzeiten, verstehen Sie.« Mit hundetreuem Blick schaut er Böhm an. »Ich konnte nicht sofort zahlen. Ich hatte um Aufschub gebeten.« Er atmet erleichtert auf. »Außerdem wollte ich ihn bei den Zinsen noch etwas drücken, aber da war er stur.« Er nickt zufrieden.
Böhm schaut ihm direkt in die Augen. »Ihr Sohn sagt, Sie hätten ihn und auch Gietmann betrogen. Sie hätten Sicherheiten angeboten, die Sie gar nicht hatten.«
Über mehrere Sekunden ist nur das entfernte Klappern aus der Küche zu hören.
Lüders fasst sich. Er lehnt sich in den großen Sessel zurück. »Mein eigener Sohn verleumdet mich!« Tiefe Enttäuschung lässt seine Stimme leiser werden. »Gerhard ist ein Versager. Er macht mich verantwortlich für seinen Rausschmiss bei der Bank und für seine kaputte Ehe. Er hat damals keine Sicherheiten verlangt. Es war sein Fehler!« Dann hebt sein Bariton sich wieder. »Was mit Gietmann vereinbart war, davon weiß Gerhard nichts. Das ist jedenfalls sauber abgewickelt und, wie gesagt, da ist nichts offen!«
Böhm hört hinter sich die Tür ins Schloss fallen. Jörg hat den Raum verlassen. »Können Sie mir die Adresse von Anna Behrens geben?« Böhm betrachtet sein Gegenüber über den Rand seiner Nickelbrille.
Lüders wird blass. »Anna Behrens?« Sein Kinn fällt hinunter. Wieder schaut er zur Türe, als stünde sein Sohn noch da, als könne der ihm beispringen. »Nein. Die wohnt in Köln, aber eine Adresse?« Er schüttelt den Kopf.
»Der Erbpachtvertrag. Welcher Notar war da zuständig?«
Lüders erwacht. Er erhebt sich und baut sich drohend auf.
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