Wenn das Herz im Kopf schlägt
Betrüger hat er ihn genannt. Einen lächerlichen, kleinen Bauern, der noch nicht mal seinen Erbvertrag lesen könne. Sie sind zusammen nach Köln gefahren, um mit Anna Behrens zu sprechen, mit diesem hysterischen Weib. Auf dem Rückweg haben sie dann die monatliche Rate vereinbart. Eigentlich ist Gietmann fair gewesen, aber auf der anderen Seite: Er hatte doch nichts in der Hand.
Aus und vorbei!
Er klopft mit der Faust auf den Querbalken des Handlaufes. Aber dass er gestern Nacht nichts gehört hat! Eigentlich hat er einen leichten Schlaf, und der Wagen muss unten an seiner Zufahrt vorbeigefahren sein. Er geht die zwei Schritte zurück zur Treppe und dreht sich um. Dann beginnt er langsam den Abstieg. Bei den ersten drei Stufen klammert er seine Hände fest um die vertikalen Kanthölzer, auf denen der Handlauf befestigt ist. Dann wechselt er zu den oberen Sprossen der Leiter und lässt sich Stufe für Stufe hinunter.
Zuerst hat er nicht gewusst, wie Gietmann gestorben war. Klara hat ihn angestarrt, und ihr Verdacht ist deutlich zu spüren gewesen. Seine eigene Frau! »Ludwig, wenn der erschossen worden ist? Auf unserem Grund und Boden. Ludwig, dann verdächtigen die dich.«
»Dummes Weib!«, hat er gesagt, »DU verdächtigst mich.«
Ganz Unrecht hatte sie mit ihrer Sorge nicht, und er hat sich schon so seine Gedanken gemacht. Aber nach kurzer Überlegung ist er sich sicher gewesen: Selbst wenn er das Auto nicht gehört hat, einen Schuss hätte er gehört!
Er ist nicht erschossen worden, Gott sei Dank!
Er hat sich nichts zu Schulden kommen lassen, und es ist nun mal so: Wat dem eenen sin Uhl is dem andern sin Nachtigall.
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Der Bauernhof ist kein Bauernhof. Auf dem Scheunendach ist in großen weißen Lettern
Gietmann GmbH
zu lesen. Im asphaltierten Hinterhof stehen LKWs, Betonmischer, Bagger und ein Kran. Kein Hund, der wütend bellt, keine Katze, die faul in der Sonne liegt, keine scharrenden Hühner, keine suhlenden Schweine.
Böhm steigt aus und schaut in den blassblauen Himmel. Kein Windchen regt sich. Auf der Oberleitung sammeln sich Tauben. Es wird einer der ersten wirklich warmen Tage werden.
Am Haupthaus aus rotem Klinker sind die Bögen der Fenster und des Eingangs mit grauen Betonträgern begradigt worden. Er geht auf die Haustür aus weißem Kunststoff und Glas zu und schüttelt den Kopf. Vielleicht hat er dafür sterben müssen?
Frau Gietmann öffnet. Ihre stämmige Figur steckt in einem schwarzen Kleid. Das fleischige Gesicht unter einem braungrauen Kurzhaarschnitt ist ohne Farbe. Sie führt ihn über helle Fliesen den Flur entlang ins Wohnzimmer.
Die schwarze Ledergarnitur steht auf Chromfüßen zwischen alten, aufwendig gearbeiteten Eichenschränken mit Bleiglasfenstern. Es riecht süßlich nach teuren Zigarren und Möbelpolitur. Sie serviert mit ruhiger Hand Kaffee und Plätzchen.
Als sie sich in den Sessel fallen lässt, spürt er ihre Entschlossenheit, keine Schwäche zu zeigen. Er spricht sein Beileid aus, und sie nimmt es mit einem kurzen Kopfnicken entgegen.
»Freitagabend, Frau Gietmann. Können Sie mir erzählen, wie der Freitagabend verlaufen ist?« Er sieht sie freundlich an, spricht mit ruhiger, leiser Stimme.
Sie weicht seinem Blick aus. Ihre Hände kämpfen in ihrem Schoß miteinander. »Eigentlich ... eigentlich ist er freitags immer ins
Chez Susan
gefahren.« Sie schluckt. »Dann kam er spät nach Hause, manchmal erst am nächsten Tag.« Sie atmet tief, so als habe sie das Schwierigste überstanden. Vorsichtig versucht sie einen Blick in sein Gesicht, will sehen, ob er ihr die Schuld gibt.
Böhm schließt die Augen und nickt. »Das war nicht leicht für Sie!«
Jetzt sieht sie ihn direkt an. Ihre Stimme wird kräftiger. »Bitte! Wenn es geht, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie meiner Tochter davon nichts sagen.«
Diese Geheimnisse. Immer wieder trifft er bei seinen Ermittlungen auf diese Geheimnisse, die jeder kennt. Diese Geheimnisse, die nie angesprochen werden, weil jeder jeden schützen will. Manchmal entstehen gerade daraus die Katastrophen.
»Am Freitag ist er nicht gefahren. Er hat auf einen Anruf gewartet. Geschäftlich, hat er gesagt.« Sie lehnt sich zurück. Ihre Hände liegen jetzt ruhig auf den Oberschenkeln. »Gegen zweiundzwanzig Uhr ging dann das Telefon, und er ist sofort rangegangen. Dann hat er seinen Mantel angezogen und ist losgefahren. Als er um Mitternacht immer noch nicht zurück war, habe ich gedacht, er ist wohl doch noch ins
Chez Susan
und
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