Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn das Herz im Kopf schlägt

Wenn das Herz im Kopf schlägt

Titel: Wenn das Herz im Kopf schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
Vom Netzwerk:
abgeschnitten? Haben wir jetzt wieder drei Tage Zeit? Haben die drei Tage eine Bedeutung?
    Schuhe!
    Böhm sieht die weit auseinander liegenden Füße an. Schwarze Schuhe! Schwarze Lederschuhe, ordentlich geschnürt.
    Er geht den markierten Weg zu den Autos zurück. Bongartz hält ihm einen Becher mit heißem Kaffee entgegen. »Wo habt ihr den her?«
    Bongartz zieht den Reißverschluss seines Overalls hoch. »Lembach hat Strom, Lembach hat Kaffee!«
    »Danke!« Böhm spürt plötzlich eine unendliche Müdigkeit. Eine Müdigkeit, der kein Schlaf gerecht werden kann. Er setzt sich auf die Ladefläche des Bullis.
    Kurt Bongartz legt eine Hand auf Böhms Schulter. »Alles in Ordnung?«
    Böhm nimmt einen Schluck Kaffee und schüttelt den Kopf. »Gar nichts ist in Ordnung. Wir sind nicht schnell genug. Der macht weiter, und wir können nur hinterherlaufen.«
    Bongartz zerdrückt seinen leeren Plastikbecher und wirft ihn in den Müllbeutel. Lembach stellt an jedem Tatort, bevor er mit der Arbeit beginnt, einen »Personalmüllbeutel« auf. Alles, was Mitarbeiter wegwerfen, gehört in diesen Beutel. Er hat vor zwei Jahren, in einem Mordfall an einer jungen Frau, tagelang an einem benutzten Tempotaschentuch gearbeitet. Als sich herausstellte, dass es einem seiner Mitarbeiter gehörte, haben einige Kollegen um ihr Leben gefürchtet.
    »Peter, hör auf. Wir hatten nicht mal drei ganze Tage. Sei realistisch, wir tun alle unser Bestes.« Er zieht den Reißverschluss nach oben und die Kapuze über den kahlen Kopf. »Ich erledige das hier und fahre direkt in die Pathologie. Ich mache die Autopsie sofort. Du kannst morgen früh die Ergebnisse haben.«
    »Warst du schon bei ihm? Ist er auch verblutet?«
    »Glaube ich nicht. Eher erstickt. Leg mich jetzt nicht fest, aber eins kann ich dir mit Sicherheit sagen. Als ihm die Eier abgeschnitten wurden, hat er noch gelebt.« Bongartz nimmt seinen Koffer. »Ach so, Steeg und van Oss sind hoch zum Hof. Das soll ich dir geben.« Er hält Böhm eine Tageszeitung entgegen. »Lies mal. Der Typ ist krank. Der ist doch total durch!« Kurt Bongartz verschwindet in Richtung Tatort.
    Böhm überfliegt die aufgeschlagene Seite der Tageszeitung. In der Mitte wird er fündig.
    Begrenzt ist das Leben, doch unendlich die Erinnerung
.
    Ludwig Lüders ist am 13. März 2001 von uns gegangen
.
- 36 -
    Zu viel DOM. Um siebzehn Uhr acht Milligramm. Aber dann wurde es neunzehn Uhr, und nichts tat sich. Auf dem Boden war es feucht und kalt. Nachlegen! Noch mal fünf Milligramm. Dann war sie da, diese kristallklare Wachheit, diese Kombination aus Gewissheit und Stärke die einen die richtigen Dinge tun lässt, die einen über alle anderen erhebt.
    Dann haben die Bäume geleuchtet, trotz dieser die Welt verschluckenden Dunkelheit haben die Bäume rundherum angefangen zu strahlen.
    Die Tankstelle ist vierundzwanzig Stunden geöffnet. Das gelbe Neonlicht brennt in den Augen, schießt durch die Pupillen bis ins Hirn. Diese Unruhe. Blutige Kratzer auf Armen und Beinen. Kein Schmerz. In der Sporttasche der Knüppel und sein lächerlicher Stock.
    »Die Tageszeitung auch?« Der Kassierer ist müde.
    »Ja, die Zeitung und das Wasser bitte.«
    Bei Gietmann ist Angst da gewesen. Dieses törichte Zittern um das eigene kleine Leben. Diesmal nicht. Diesmal ist heiße Stärke durch die Adern geflossen. Heiße Stärke wie ein Fieber, das nicht schwächt, sondern aufrichtet.
    Von Weitem war er zu hören. Das Aufsetzen seiner Stockspitze auf den Asphalt hat in den Ohren gedröhnt. Zunächst aus der Ferne. Dann ist es immer nähergekommen und hat den Frieden des Abends zerschlagen. Er hat es nicht einmal bemerkt. Der Knüppel war leicht, federleicht. Die Anstrengung, ihn an die richtige Stelle zu ziehen und zu binden, hatte wohlige Wärme gebracht.
    Er hat sich gewunden, als der Stoff zwischen den Beinen seine alten schrumpeligen Genitalien nicht mehr verdeckte. Tief aus seiner Kehle war ein gurgelndes Brummen zu hören. Nicht ängstlich, wie bei Gietmann, nein, eher wie das Knurren eines gefährlichen Hundes.
    Seinen Schwanz abzuschneiden war dann schwieriger als gedacht. Er hat das Gesäß immer wieder gehoben und auf den Boden zurückfallen lassen, wie ein Vogel, der, zum ersten Mal seiner Freiheit beraubt, immer wieder gegen die Stäbe des Bauers fliegt und zurückfällt in den Vogelsand. In seinen Augen war keine Panik, sondern Zorn. Tränen waren über sein Gesicht gelaufen, als der erste Schnitt Blut hervorbrachte, so rot wie

Weitere Kostenlose Bücher