Wenn das Herz im Kopf schlägt
bestimmt noch da. Reifenspuren finden Sie sicher auch.« Er scheint niemanden anzusprechen. Die Worte fallen, monoton wie ein Kinderreim, auf den alten, abgetretenen Linoleumboden und reißen ein Loch in Böhms Verdacht.
Joop dreht die Augen zur Decke. »Herr Lüders, zum dritten Mal. Wir brauchen das nicht überprüfen. Wir glauben, dass Sie dort waren. Aber Sie können fünf Minuten, oder – wie Sie behaupten – acht Stunden dort gewesen sein. Verstehen Sie unser Problem?«
Lüders scheint ihn nicht wahrzunehmen. Er starrt Löcher in den Boden und führt Selbstgespräche. »Wieso sollte ich ihm das antun? Kastrieren! Wir haben nicht mehr miteinander gesprochen. Ich bringe doch meinen eigenen Vater nicht um.«
»Woher wissen Sie, dass Ihr Vater kastriert wurde?« Böhm lehnt mit verschränkten Armen an der Zimmertür.
»Jörg hat gesagt, er war an einen Baum gefesselt und ...« Seine Schultern beginnen zu zucken. Er schlägt beide Hände vors Gesicht.
Joop sieht seinen Chef fragend an.
Böhm geht zum Schreibtisch. »Herr Lüders, sind Sie damit einverstanden, dass sich die Spurensicherung Ihr Auto ansieht?«
Lüders hat sich wieder gefangen. Er nimmt die Hände vom Gesicht und nickt.
»Sie müssen Ihre Aussage noch unterschreiben, dann können Sie gehen.«
Er scheint den Satz erst langsam zu begreifen. Als er aufsteht, wankt er für einen Augenblick und sucht mit den Händen am Schreibtisch Halt.
Zurück in seinem Büro zieht Böhm die Behrensakte aus der Schublade.
Johann Behrens war zum Stammtisch gewesen. Alle Anwesenden hatten viel getrunken. Es waren zwei Geburtstage zu begießen gewesen, und gegen Ende des Abends hatte es Streit gegeben. Worüber wusste keiner mehr zu sagen. Nach Aussage der Wirtin hatte er, als er sich auf den Heimweg machte, fünfzehn Bier und acht Korn zu bezahlen.
Behrens wurde, wenn er betrunken war, schnell gewalttätig, und alle waren froh, als er ohne großes Theater abzog.
Böhm blättert vor und sieht sich die Liste der damaligen Stammtischmitglieder an.
Ludwig Lüders, Egon Jansen, Günter Mahler, Horst Winkler, Karl Holter, Werner Gietmann und Klaus Söller. Sie waren an jenem Abend die letzten Gäste, außerdem war Ruth Holter anwesend. Alle hatten gewusst, dass Behrens seine Frau schlug, wenn er zu viel getrunken hatte.
Böhm geht zum Fenster. Der Himmel liegt wie ein grauer Deckel über der Stadt.
Vor einigen Wochen hat er eine lange Diskussion mit Brigitte gehabt. Sie hat eine Frau mit zwei Kindern ins Frauenhaus gebracht. Die Kinder hatten von den täglichen Prügeleien berichtet, und sie hatte gefragt, warum sie sich keine Hilfe bei den Nachbarn geholt hätten. Die Sechsjährige hatte geantwortet: Die schicken uns weg und sagen, wir sollen nach Hause gehen und nicht wiederkommen. Brigitte war der Meinung, dass Gleichgültigkeit ein Symptom unserer modernen, egozentrischen Gesellschaft sei und die Anonymität der Großstädte eine Kultur des Wegschauens förderte. Menschen sind feige, hat er gesagt, bequem und feige. Sicher ist es in einer anonymen Trabantenstadt noch einfacher, keine Verantwortung zu übernehmen, aber ich glaube, dass es schon immer so war.
Sieben erwachsene Männer wissen, dass Behrens nach Hause fährt und seine Frau verprügelt. Und alle sagen sie aus: Ich war froh, dass der ohne Theater gegangen ist!
Er findet das Protokoll des anonymen Anrufs.
Freitag, 14. April 1967, Zeit: 5.15 Uhr
Männlicher Anrufer: Auf dem Behrenshof in Merklen liegt eine schwerverletzte Frau
.
PM Nolte: Jetzt mal ganz ruhig. Sagen Sie mir erst mal Ihren Namen
.
Männlicher Anrufer: Behrenshof in Merklen, Sommerweg. Schicken Sie einen Krankenwagen!
Um 5.35 Uhr findet man Magdalena Behrens auf dem Deelenboden in einer Blutlache. Sie ist mit dem Rücken auf ein Brett gestürzt, und ein vorstehender Nagel hat sich in ihren Rücken gebohrt. Ihre siebenjährige Tochter Anna sitzt neben ihr. Das Kind ist nicht ansprechbar. Als sie die Klinik erreichen, ist Magdalena Behrens tot.
Er sieht sich die Tatortfotos an. Schwarz-Weiß-Bilder von der Blutlache auf dem Betonboden. Ein blutverschmiertes etwa hundertsechzig Zentimeter langes Brett. Ein zerrissener, geblümter Rock und ein Schlüpfer.
Gegen Mittag wird Johann Behrens in einem Lokal in der Stadt festgenommen. Er gesteht, seine Frau geschlagen zu haben. Sie sei gestürzt und nicht mehr aufgestanden. Da sei er abgehauen. Die Vergewaltigung bestreitet er.
Laut Autopsiebericht ist Magdalena Behrens aufgrund
Weitere Kostenlose Bücher