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Wenn das Herz im Kopf schlägt

Wenn das Herz im Kopf schlägt

Titel: Wenn das Herz im Kopf schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
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Müdigkeit, die am späten Abend doch noch aufgetreten war, für kurze Zeit durchbrochen. Lembach hat es dann auf den Punkt gebracht. Ein Meer an Spuren, hat er gesagt, aber nirgendwo ein greifbares Motiv. Selbst wenn es einen Zusammenhang gibt zwischen den Vorfällen von vor dreißig Jahren und den Morden der letzten Tage, stellt sich doch die Frage: Was ist damals passiert, und wer hat davon gewusst? Und das lässt sich nach so langer Zeit wohl kaum rekonstruieren!
    Böhm schließt die Haustür auf und betritt die leere Wohnung. Seit drei Tagen keine Nachricht von Brigitte. Als sie in der Klinik war, hat er sie besuchen können oder mit ihr telefoniert.
    Im Tiefkühlschrank findet er eine Spinatpizza. Drei Tage ohne Kontakt. Das war in fast fünfundzwanzig Jahren Ehe nie vorgekommen.
    Wie von fremder Hand gezogen, schieben sich seine Schulterblätter zusammen. Seine Kiefern sind fest aufeinander gepresst. Mit zitternden Händen versucht er, die perforierte Seite der Pizzaverpackung zu öffnen. Im nächsten Augenblick hat er den Karton mitsamt der Pizza zusammengedrückt und gegen die Wand geworfen. Mit Riesenschritten läuft er ins Wohnzimmer und hinaus in den Garten. Luft, er braucht Luft und Kälte. Die Nacht ist sternenlos schwarz. Er setzt sich auf die letzte Stufe der Terrassentreppe und starrt in die Dunkelheit des Gartens. Langsam entspannt sich sein Kiefer.
    Wenn sie nicht wiederkommt?
    Die letzten zwanzig Stunden haben ihn erschöpft. Er will über nichts nachdenken, sich nicht bewegen, nicht denken und nicht fühlen. Sie sind doch zufrieden gewesen. Sie haben nach all den Schmerzen und der Verzweiflung, die mit Andreas‘ Tod über sie hereingebrochen waren, hier einen neuen Anfang gemacht. Tobias ist nach Münster gezogen und hat sein Jurastudium begonnen, und sie hat diese Arbeit angenommen. Was hat er denn übersehen? Gut, sie waren beide sehr mit ihrer jeweiligen Arbeit beschäftigt, aber sie haben schöne Tage und Abende gemeinsam verbracht. Sie haben selten Streit und können doch eigentlich über alles reden. Über was muss sie nachdenken?
    Die Nachtwolken lassen ein Himmelsloch. Für ein paar Sekunden zeigt sich ein Halbmond. Böhm spürt, wie die Kälte nach seinen Knochen greift.
    Er sieht sie vor sich. Lachend und mit dem Finger drohend. Traurig am Steg, in einem gelben Kleid. Entspannt auf dem Sofa, Vivaldi lauschend. Er hört sie sagen: Peter, wir haben allen Grund zufrieden zu sein. Wir gehören zu den Privilegierten dieser Erde. Er braucht mehrere Sekunden, ehe er begreift, dass das klappernde Geräusch von seinen aufeinanderschlagenden Zähne stammt.
    Mühsam steht er auf und geht ins Haus. Das rote Signallicht des Anrufbeantworters leuchtet. Brigitte! Er schaltet die kleine Maschine ein.
    »Hallo Brigitte, hier ist Simone. Bring bitte bis Donnerstag die Akte von Alessa mit. Ihre Anhörung findet jetzt doch schon am Freitag statt und wir sollten die einzelnen Punkte noch mal durchgehen. Bis dann!«
    Die Kälte verlässt ihn augenblicklich. Sauer und heiß steigt es von seinem Magen die Speiseröhre aufwärts. Er drückt die Stoptaste und rennt die Treppe hinauf. Er durchstöbert Brigittes Schreibtisch. Simones Telefonnummer! Irgendwo muss sie doch Simones Telefonnummer haben. Er reißt die Schubladen auf, blättert Ordner durch, durchwühlt die Ablage. Er fährt ihren PC hoch. Dateinamen huschen nichts sagend an ihm vorbei. Als er aufgeben will und aufschaut, trifft sein Blick die Pinnwand direkt über dem Bildschirm.
Notfallnummern
steht auf einem angehefteten Zettel. Die dritte Nummer von oben ist die von Simone.
    Er sitzt mit dem Telefon in der Hand auf dem Sofa und versucht, ruhig zu atmen. Es ist kurz vor Mitternacht. Vielleicht geht sie gar nicht ans Telefon.
    Schon nach dem zweiten Freizeichen meldet sie sich. »Simone Barth.«
    Dann sprudelt es aus ihm heraus. »Hier ist Peter Böhm. Ich ... ich habe seit drei Tagen nichts von meiner Frau gehört. Sie hat mich am Samstagabend angerufen, oder besser gesagt, eine Nachricht auf den AB gesprochen. Sie wollte ein paar Tage länger bleiben ...« Seine Stimme versagt.
    Am anderen Ende der Leitung bleibt es still.
    Böhm schluckt an der aufkommenden Panik. »Frau Barth, wo genau hat diese Tagung stattgefunden? Wann war sie zu Ende?«
    Am anderen Ende hört er ein Räuspern. »Es ist alles in Ordnung, machen Sie sich keine Sorgen. Brigitte kommt morgen Mittag zurück. Sie ist okay.« Wieder räuspert sie sich.
    Er greift den Hörer fester.

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