Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn das Herz im Kopf schlägt

Wenn das Herz im Kopf schlägt

Titel: Wenn das Herz im Kopf schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
Vom Netzwerk:
vielleicht vorher ein kleines belegtes Brötchen kaufen? Ich habe heute Morgen vergessen, mich zu füttern.« Er zieht die Lippen schmal und macht große, runde Augen.
    »Gegenüber vom Pfarramt gibt es eine Bäckerei. Was denkst du über Mahler?«
    »Er raucht sehr starke Zigaretten, und wenn er sie zu Ende geraucht hat, tritt er sie nicht einfach aus, sondern er bringt sie um. Und er lügt!«
    Joop schaut auf die vorbeiziehenden Häuser mit den gepflegten Vorgärten und alles verhüllenden, blütenweißen Gardinen in den Fenstern. »Vielleicht geht es auch gar nicht mehr anders. Vielleicht ist eine Lüge, wenn sie dreißig Jahre lang eine Wahrheit war, eine Wahrheit.« Böhm bringt das Auto vor der Bäckerei zum Stehen. »Aber irgendjemand weiß, dass es eine Lüge ist.« Er tastet über die Ablage und findet sein Handy.
    Während Joop in der Bäckerei verschwindet, wählt Böhm erneut die Nummer von Anna Behrens. Ein Besetztzeichen ertönt.
- 44 -
    Das gusseiserne Tor steht einen Spalt breit auf. Die Friedhofsmauer ist an dieser Seite unter Efeu versteckt. Einige Meter weiter stößt sie aus dem dichten grünen Tunnel hervor und zieht sich in blassem Rotbraun bis zur Biegung der Straße. Grablichter malen rote, verlaufende Wasserfarbenflecken in das Nebelgrau des Morgens.
    Es gibt einen alten Teil mit großen Familiengräbern. An schmalen, mit Kies bedeckten Wegen sind mächtige Steine mit Bibelzitaten oder Skulpturen der Muttergottes platziert. Hier liegen die Gründer der traditionsreichsten Familien. Kleinere, weniger aufwändige Tafeln links und rechts davon erinnern an Ehefrauen und Kinder.
    Weiden, Birken und Ulmen, die es im Laufe der Jahrzehnte zu beträchtlicher Größe gebracht haben, stehen wie aufgespannte Schirme.
    Ein breiter asphaltierter Weg teilt das gesamte Areal in zwei Hälften. Auf der anderen Seite breitet sich flach der neue Friedhof aus. Ziersträucher, bodendeckende Stauden und bunte Blumensträuße in Stielvasen. Keine Bäume.
    Böhm findet das Familiengrab der Behrens unter einer Ulme. Eine verwitterte Steinplatte, gut 1,50 Meter hoch und über einen Meter breit, mit Säulen links und rechts und einem Dach über den Inschriften. Die lange Namensliste beginnt 1878. Die letzten Einträge erinnern an Johann Behrens und seine Mutter Johanna. Seine Frau, Magdalena Behrens, ist hier nicht erwähnt. Einen Kiesweg weiter, vor einer Madonna mit Kind auf Sockel ist ein neues Grab ausgehoben. Sand und Erde sind sorgfältig mit einer schwarzen Plane abgedeckt.
    Joop geht hinüber, um sich zu vergewissern. »Gietmann! Haben wir den denn schon freigegeben?«
    »Gestern morgen!« Böhm geht weiter. »Johann Behrens hat sich umgebracht. Früher haben die Katholiken Selbstmörder unter der Friedhofshecke begraben. Es war eine Sünde, sich das Leben zu nehmen. Das war in streng katholischen Gemeinden auch in den sechziger Jahren noch so. Wieso liegt er im Familiengrab und Magdalena Behrens nicht?«
    Das Einzelgrab liegt gut hundert Meter entfernt. Eine kleine, schlichte Steinplatte enthält das Wichtigste:
    Magdalena Behrens
geboren 03.02.1940
gestorben 13.04.1967
    Ein frischer Blumenstrauß und neu bepflanzte Schalen.
    »Wer kümmert sich um dieses Grab?« Böhm hält Ausschau nach einem Friedhofsgärtner. Er sieht zwei Frauen und einen alten Mann mit Hacke und Gießkanne. »Hier kann man sich sicher nicht ungesehen aufhalten.«
    Joop geht in die Hocke und ordnet die Osterglocken in der Vase. »Irgendetwas passt nicht!« Er richtet sich wieder auf. Sein Blick fällt auf die moderne, kantige Kapelle mit Pultdach. Mit ihrem terrakottafarbenen Verputz wirkt sie neben der dreihundert Jahre alten Kirche aus hellbraunen Natursteinen, als wäre sie rot vor Scham.
    Böhm hat seine Hände hinter dem Rücken zusammengelegt und betrachtet den kleinen Grabstein. Vielleicht verrennt er sich in diese alte Geschichte. Vielleicht sieht er Gespenster und der Fall Behrens hat nichts mit Gietmann und Lüders zu tun. Vielleicht versucht er, einen Zusammenhang herzustellen, weil die Akte auf schlampige Polizeiarbeit hinweist und er das nicht ertragen kann.
    Dann ahnt er es. Er schließt die Augen und versucht, den Aktendeckel der Behrensakte vor sich zu sehen. »Das Datum!«
    Joop ist in Gedanken vertieft und zuckt zusammen. »Das Datum?«
    »Ja. Magdalena Behrens ist nicht am 13.4., sondern am 14.4. gestorben.«
    Joop zieht fröstelnd seine Jacke zusammen. »Aber warum sollte das jemand absichtlich ändern? Ich meine, es

Weitere Kostenlose Bücher