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Wenn das Herz im Kopf schlägt

Wenn das Herz im Kopf schlägt

Titel: Wenn das Herz im Kopf schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
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Sie weiß etwas! Sie will es ihm nicht sagen. Sie kennt den anderen. »Ihr Handy ist ausgeschaltet. Ich kann sie nicht erreichen. Das hat sie noch nie gemacht!« Er versucht, ruhig zu atmen, er versucht, ihr nicht die entscheidende Frage zu stellen.
    »Wahrscheinlich ist ihr Akku leer, und sie hat vergessen, das Ladegerät mitzunehmen. Machen Sie sich keine Sorgen!«
    Zorn steigt in ihm auf. »Wie stellen Sie sich das vor? Meine Frau ist seit drei Tagen nicht erreichbar. Und Sie können mir offensichtlich nichts über diese Tagung sagen.« Seine Stimme wird mit jedem Satz lauter. »Ich gebe eine Vermisstenanzeige auf. Wenn Sie mir nicht die Wahrheit sagen, dann können Sie sich bei meinen Kollegen im Präsidium dazu äußern.«
    Er hört sie wütend schnauben. »Also bitte! Dann tun Sie das! Ich werde Ihren Kollegen lediglich sagen können, dass Ihre Frau wohlauf ist und nicht vermisst wird!«
    Er hört ein kurzes Knacken. Der anhaltend monotone Ton, der darauf folgt, bohrt sich durch sein Ohr, breitet sich im Körper aus und lähmt ihn. Sein Zorn erstickt wie Feuer unter einer feuchten Decke.
    Brigitte wird nicht vermisst, hat sie gesagt.
    Wie konnte sie so etwas sagen? Er vermisst sie. Er vermisst sie so sehr, dass es ihm körperliche Schmerzen bereitet.

Mittwoch, 14. März 2001
- 42 -
    Tagelang schläft sie nicht und dann bis zu vierundzwanzig Stunden und länger. Gestern, nach dem Anruf, hatte sie sich im Schlafzimmer unter der Bettdecke verkrochen. Sie hatte gezittert und konnte keine Ordnung in ihre Gedanken bringen.
    Wieder zurück in die Klinik gehen? Die angesammelten Schlaftabletten nehmen? Die Küchentüre fest verschließen, abdichten und das Gas aufdrehen?
    Regine, die mit ihr in der Klinik war, hatte es geschafft, sich an der Türklinke ihres Zimmers zu erhängen. Die Gedanken hatten etwas Beruhigendes gehabt. Die Enge in ihrer Kehle war gewichen, und sie hatte atmen können.
    Darüber war sie eingeschlafen.
    Jetzt steht sie am Rand dieses neuen Tages. Vierzehn Stunden hat sie geschlafen und fühlt sich trotzdem wie gerädert. Der Rücken schmerzt, und in den Beinen spürt sie Muskelkater. Muskelkater vom Schlafen.
    Am Freitag war es auch so gewesen. Freitagmittag war sie ins Bett gegangen und hatte nur noch heulen können. Darüber war sie eingeschlafen und erst Samstag, am späten Abend, wieder aufgewacht.
    Im Park kriecht das erste Licht in die Baumkronen und zeigt nackte Äste. So nackt wie ihre klappernden, frierenden Knochen unter der dünnen Haut. Sie zieht gierig an ihrer Zigarette und bläst den Rauch gegen die Scheibe. Der breitet sich aus und lässt die Welt draußen für einen Augenblick verschwimmen. Alles nur unterschiedlich starkes Grau.
    »Oma, wie kommt die Farbe in die Blumen, hat das der liebe Gott gemacht?«
    »Der liebe Gott macht keine Farbe in Blumen. Der liebe Gott nimmt einem die Söhne und macht alles grau.«
    In fünf Stunden kommt dieser Polizist. Sie dreht sich um und sieht erneut auf die Uhr. In viereinhalb Stunden. Die Glut der Zigarette hat den Filter erreicht. Der Geruch von verbrennendem Kunststoff beißt in der Nase.
    Sie könnte Margret anrufen und sie bitten, dabei zu sein. Margret würde gerne mit der Polizei reden. Sie würde sagen: Johann Behrens war ein Monster. Er hat meine Schwester getötet.
    Eine feine Schweißperle läuft über ihre Schläfe. Diese Hitze im Kopf. Dieses Eis im Bauch. Sie will das nicht hören. Nicht immer und immer wieder dieselben Lügen.
    »Papa hat Mama nicht tot gemacht!«
    »Ja, meine Kleine. Du hast deinen Papa sehr lieb gehabt.«
    Sie muss nicht öffnen. Wenn sie sich leise verhält, wird er zwei- oder dreimal schellen und wieder gehen.
    Sie reibt die kalten, schweißnassen Hände über die Oberschenkel. Die Hose nimmt die Feuchtigkeit auf. Gietmann ist ermordet worden, warum sonst sollte sich die Polizei damit beschäftigen? Sie lehnt den heißen Kopf gegen das kalte Fensterglas. Im Fernsehen werden sie darüber nicht berichten. Eine Zeitung! Aber wie soll sie an eine Zeitung kommen? Sie stößt sich mit der Hand von der Fensterbank ab. Wie dumm sie ist.
    Sie schaltet ihren PC ein. Im Internet findet sie das Klever
Tagesblatt
. Sie ruft die Rubrik
Lokales
auf.
    Die Schlagzeile schlägt ihr ins Gesicht.
    Sie springt auf und läuft in die Küche. Nein, das kann nicht sein! Sie setzt sich auf den Küchenstuhl und beginnt ihren Oberkörper vor und zurück zu wiegen.
    »Lüders, Gietmann, Mahler und Jansen! Das sind die Namen, die du nie

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