Wenn das Herz im Kopf schlägt
heute wiedergekommen.« Er ärgert sich, dass er ein schlechtes Gewissen verspürt. Bei einer Sechzig- bis Siebzig-Stunden-Woche hat er keinen Grund dazu.
Lembach hält ihn am Arm fest. »Warte, eine Sache noch.«
Er hält einen kleinen Beutel mit der gefunden Faser hoch.
»Das ist Lycra. Aber das wussten wir ja schon. Interessant daran ist aber, dass sie von einem rosafarbenen Shirt oder einer Hose stammt.«
Steeg pfeift durch die Zähne. »Na, wer sagt es denn. Geht doch! Damit dürfte ja wohl klar sein, dass wir es mit einer Frau zu tun haben.« Er klopft Lembach auf die Schulter. »Oder kennst du einen Mann der Rosa trägt? Außer Joop natürlich, aber der steht ja nicht unter Verdacht.«
Lembach und Steeg lachen.
Auch Böhm kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Achim, das macht die Überprüfung der Wohnung von Anna Behrens umso dringender.« Dann ist er zur Tür hinaus.
- 52 -
Sie hat den Hörer einfach fallen lassen. Er liegt auf dem Sofa und gibt diesen enervierenden Ton von sich. Sie rückt in die andere Ecke der Couch, fort von diesem Ton, fort von dem Gerät, das es Menschen wie diesem Mahler erlaubt, in ihre Wohnung einzudringen.
Sie rollt sich ein und schließt die Augen. Die Knie bis zur Brust gezogen, die Arme um die Unterschenkel gewickelt schaukelt sie den Körper hin und her, wie das Pendel einer Uhr. Nur so vergeht Zeit. Nur so kann sie die Angst hinter sich lassen und Abstand schaffen. Abstand schaffen zwischen sich und diesen dunklen Gestalten, von denen eine Mahler war.
Wie lange sie so gelegen hat, weiß sie nicht. Aber mit einem Gedanken kommt sie aus dieser diffusen Welt zwischen Vergangenheit und Jetzt zurück. Aus dieser Welt, die nur in ihr existiert. Die sie nicht vermitteln kann, weil sie ohne Zeit und Raum ist.
Gietmann war bei ihr gewesen und ist tot.
Lüders war bei ihr gewesen und ist tot.
Jetzt hatte Mahler angerufen. Würde Mahler jetzt sterben?
Der Gedanke setzt sich fest. Sie reißt die Augen auf. Wie ein kriechender Strom zieht es durch ihren Körper, schmerzt in Brust und Rücken. Sie setzt sich auf.
Oh Gott!
Sie springt auf und läuft in die Küche. Sie öffnet alle Küchenschränke, zieht alle Schubladen auf. Auf, auf, auf! Nein, es hilft nicht. Sie muss sich selbst aufmachen. Sie hält sich die Ohren zu, als könne sie so dieser Stimme entgehen, die diesen entsetzlichen Verdacht ausspricht. Tiefe Schnitte. Sie muss ihr Fleisch aufschneiden, damit diese Stimme zusammen mit dem Blut aus ihrem Körper herauslaufen kann.
Die Messerschublade hält ihren Blick fest, zieht sie mit einem unsichtbaren Band immer näher heran. Sie schnappt gierig nach Luft, kann nicht aufhören, immer mehr Sauerstoff in sich hineinzupumpen. Sie weiß, dass sie eine Tüte holen sollte. Sie weiß, dass sie sich diese Tüte vor den Mund pressen sollte. Sie weiß, dass Margret erst Dienstag kommt.
Dann greift sie in die Schublade. Der Sauerstoff schickt Lichtkristalle in ihren Kopf. Sie setzt das Messer an ihrer linken Schulter an. Sie zieht die Schneide quer über ihren Brustkorb bis zum Brustbein. Fühllos sieht sie, wie ihr rosafarbenes T-Shirt sich dunkelrot verfärbt. Frei! Frei!
Aber der Augenblick des Glücks vergeht. Sie spürt noch den Sturz. Sie hört nicht, dass an ihrer Tür geklingelt wird. Sie hört nicht, dass die Tür nur wenige Minuten später geöffnet wird. Sie hört den Polizisten nicht sagen: »Scheiße! Ruf mal einer einen Krankenwagen!«
- 53 -
Sie sitzt am Küchentisch. Das Erste, was er sieht, ist ihre durchscheinende Blässe. Für einen Augenblick will er seinem Impuls folgen und sie in den Arm nehmen, aber dann bleibt er im Türrahmen stehen. Sie sieht ihn ganz ruhig an, und die Trauer in ihren Augen brennt in seiner Brust.
»Wo warst du?« Die Heftigkeit, mit der er ihr die Frage entgegenschleudert, lässt ihn selber zusammenzucken.
»Setzt dich, Peter. Bitte.«
Diese traurige Ruhe untergräbt seinen Zorn, setzt ihn ins Unrecht. Er zieht seine nasse Jacke aus, hängt sie an die Türklinke der Küchentür und setzt sich ihr gegenüber. Auf dem Küchentisch liegen Papiere, ihre Uhr und ihr Granatarmband. Er greift sich das Armband, braucht etwas in den Händen, die nicht stillhalten wollen.
»Ich war auf keiner Tagung!«
Er lacht bitter auf.
»Ich brauchte ein bisschen Zeit. Ich dachte, ein Wochenende reicht mir, aber dann war es anders.«
Sie spricht mit leiser Stimme. Sie spricht mit dieser flachen, monotonen Stimme, die er so wenig erträgt, mit
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