Wenn das Herz im Kopf schlägt
nachdenken will sie gar nicht mehr, sie hat es beschlossen. Morgen früh geht sie zur Polizei und sagt, was sie weiß. Mahler soll machen, was er will, aber sie kann so nicht weitermachen.
Damals hat sie geschwiegen. Hat an das Lokal gedacht. Was wäre denn aus ihr und ihrem Mann geworden, wenn Gietmann mit der ganzen Sippschaft woanders gekegelt und getrunken hätte? Nein, damals war das schon die richtige Entscheidung gewesen. Aber jetzt? Jetzt sind die alle tot – und Mahler, paah! Soll er doch wegbleiben.
Sie kann sich noch genau erinnern. Abends im Bett hat sie zu ihrem Mann gesagt: Karl, da stimmt doch was nicht. Wieso können die nicht einfach die Polizei rufen und sagen: Wir haben die Frau tot aufgefunden.
Das ist nicht unsere Angelegenheit, hat er gesagt. Wir haben damit nichts zu tun!
Eben, hat sie geantwortet, und darum brauchen wir doch auch nicht lügen, wenn die Polizei uns fragt!
Da war er böse geworden. Dummes Weib, willst du uns ruinieren, hat er geschimpft.
Sie stützt sich auf den Oberschenkeln ab, steht auf und geht nach vorne. So einen Tag wie heute kann sie nicht mehr so einfach wegstecken. Der geht in die Knochen.
Wenn Lena den Mörder gesehen hat, werden sie ihn ja bald fassen. Dann ist endlich wieder Ruhe.
Mahler und Loose sitzen an der Theke.
Mahler hat schon so einige Bierchen weg. Aber so ist er immer. Ging ja auf Rechnung von Familie Gietmann, da ist er dann großzügig mit sich.
»Ich schließe jetzt!« Sie geht hinter den Tresen.
»Was ist denn mit dir los? Es ist noch nicht mal acht Uhr. Haste an Gietmanns Tod so viel verdient, dass du dir das leisten kannst?«
Sie nimmt sein leeres Glas von der Theke und warnt ihn. »Pass gut auf, was du sagst, ja? Sonst hast du das letzte Mal an dieser Theke gesessen!«
Er setzt sich aufrecht. »How, how. Na komm, Ruth. So war das nicht gemeint. Tut mir leid. Mach uns noch einen Absacker, ja!« Er fährt sich mit der Hand durchs Gesicht. »Das nimmt uns alle mit und mich ganz besonders. Das kannst du mir glauben.« Er nickt seinem Spiegelbild in der Glastür des Rückbüffets verständnisvoll zu.
»Ja, das glaube ich dir. Zumal du ja wahrscheinlich der Letzte auf seiner Liste bist!«
Wie ein Uhu, der Gefahr oder Beute beobachtet, macht nur sein Kopf eine schnelle Drehung in ihre Richtung. »Dazu wird es nicht kommen. Heute schnappen die den, da kannst du Gift drauf nehmen. Wenn das stimmt, dass Lena alles mit angesehen hat, dann kriegen die den!«
Ruth Holter lässt noch zwei Biere vor. Mahler bestellt Korn dazu und fragt sie, ob sie auch was trinken möchte. Sie schenkt sich einen doppelten Asbach ein und zückt ihren Stift.
Er legt seine Hand auf den Bierdeckel. »Das kannste doch noch auf die Beerdigungsrechnung packen!«
Sie bleibt mit gezücktem Stift vor ihm stehen. »Hast du mich jetzt eingeladen oder nicht? Wenn nicht, schütte ich ihn zurück in die Flasche.«
Er verdreht die Augen und gibt den Deckel frei. Sie greift nach ihrem Glas und prostet ihm zu.
Mahler! Auf Mahler kommen harte Zeiten zu. Ohne Gietmann, Jansen und Lüders wird er zukünftig seine Zeche selber zahlen müssen.
Für einen Augenblick bläht sich der schwere Stoff im Windfang. Sie ruft: »Ich schließe jetzt!«
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Böhm schiebt den Vorhang beiseite. Joop und Achim folgen ihm.
»Guten Abend zusammen.« Böhm sieht sich kurz um. »Sind das Ihre letzten Gäste?«
Ruth Holter nickt. Mahler schaut nicht auf, hält mit seinen Augen das Schnapsglas fest. »Ja, aber die wollten jetzt gehen.«
»Wir möchten mit Ihnen und Herrn Mahler sprechen.« Er nickt dem Mann neben Mahler freundlich zu.
Loose rutscht von seinem Barhocker und huscht zum Ausgang.
Einen Augenblick herrscht Stille. Böhm spürt die Anspannung im Raum, die von Mahler auszugehen scheint. Feindselige, lauernde Anspannung. Wie in die Enge getriebene Tiere vor ihrem letzten, befreienden Sprung.
Steeg geht zu dem großen Tisch gegenüber der Theke. Neben dem Aschenbecher steht eine gut zehn Zentimeter hohe, bronzene Bauernfigur, die ein Schild über den Kopf hält.
Stammtisch
ist da zu lesen.
»Kommen Sie«, er rutscht auf die hölzerne Bank unter dem Fenster. »Machen wir es uns doch hier am Stammtisch bequem. Sozusagen da, wo alles begonnen hat.«
Ruth Holter geht zum Eingang und schließt ab. Neben dem Tresen öffnet sie den Sicherungskasten und klappt mehrere Schalter herunter. Mit jedem Klack erlöschen Lampen um sie herum. Zuerst die Außenbeleuchtung, dann im Saal, dann im
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